Chronik der Aufklärung (Kapitel 38): November+Dezember 2016 – Nazipropaganda, Zschäpe-Front und Ermittlungen gegen das BfV

#NSU #NSUBlog

4. November 2016: In Gedenken an die Opfer des NSU legt der Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege (VIW) einen Kranz in der Neuen Wache, der Gedenkstätte der Bundesrepublik für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Berlin, nieder. Vor fünf Jahren waren die Taten ans Tageslicht gekommen. Immernoch wird viel Kritik an der schleppenden Aufklärung laut. Bundesjustizminister Maas spricht von „großem Staatsversagen“. Q1

Die Künstlergruppe „Sternendekorateure“ stellt in Zwickau elf Bänke mit den aufgemalten Namen der NSU-Opfer auf. Das Mahnmal wird in den darauffolgenden Tagen von Unbekannten stark beschädigt. Q1

5. November 2016: Mehrere hundert Personen demonstrieren in Zwickau anlässlich des fünften Jahrestages gegen Rassismus.

9. November 2016: Mit Empörung reagieren Opferanwälte auf die Weigerung der Staatsanwaltschaft Köln, ein Verfahren gegen einen früheren BfV-Referatsleiter einzuleiten. Damit verjähren heute mögliche Straftaten des Beamten. Er hatte am 11. November 2011 Unterlagen zu sieben rechtsextremen Thüringer V-Leuten der Behörde schreddern lassen. Die Affäre war im Juli 2012 bekannt geworden. Q1 Q2

11. November 2016: Günther Beckstein verteidigt vor dem PUA HE sein Vorgehen in der Zeit als Bayerischer Innenminister. So gab er unter anderem zu bedenken, dass bei einer Übergabe der Ermitttlungen an das BKA wohl weniger Personal und Ressourcen eingesetzt worden wären als es bei der bayerischen Polizei der Fall war. Das Versagen der Ermittler im Bezug auf den NSU bezeichnete Beckstein im Rückblick als die schlimmste Niederlage des deutschen Rechtsstaats. Q1

16. November 2016: Drei Hamburger Opferanwälte werfen am 321. Tag dem Brandenburger Verfassungsschützer Reinhard G. vor, im Prozess gelogen zu haben. Der Beamte hatte ausgesagt, der von ihm geführte V-Mann mit dem Decknamen „Piatto“ habe im August 1998 keine SMS des sächsischen Neonazis Jan W. erhalten, in der sich dieser „nach den Bums“ erkundigte, also mutmaßlich nach Waffen für den NSU fragte. Die Anwälte sagen nun, aus einem geheimen VsBB-Vermerk gehe hervor, dass der V-Mann die SMS doch erhalten haben dürfte. Q1 Q2

18. November 2016: Vor dem PUA BB schildern Dirk Laabs und Prof. Hajo Funke den Fall „Piatto“ als Skandal und systematisches Vorgehen des VsBB. Man habe einen schwerkriminellen Neonazi protegiert um an Informationen heranzukommen. Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat erhebliche Zweifel am Einsatz von V-Leuten. „V-Leute sind Grenzgänger. Ob sie die Grenze einhalten oder überschreiten, ist nicht zu kontrollieren.“ Der VfS habe auch keinen Freibrief, um V-Leuten Straftaten zu erlauben, damit die Quelle geschützt und der Informationsfluss gewährleistet bleibt. Auch Gideon Botsch vom Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrum sieht den massenhaften Einsatz von Zuträgern aus rechten Gruppierungen kritisch. „V-Leute waren an maßgeblicher Stelle beteiligt, als sich die rechtsextreme Szene organisierte und radikalisierte.“ Q1 Q2 Q3

21. November 2016: Vor dem PUA Hessen zeigt sich auch der Verfasser der zweiten Fallanalyse (05/2006), Alexander Horn (LKA Bayern), verwundert darüber, dass Temme nicht in U-Haft kam und wie viele Informationen durch Verfassungsschutzämter sowie BKA zurückgehalten wurden. Horns Hypothesen verortetten die Täter im Großraum Nürnberg mit festem Arbeitsplatz. Böhnhardt und Mundlos waren zu dieser Zeit tatsächlich bei Marschners Firma beschäftigt und in Nürnberg tätig (BELEGE?)

22. November 2016: Richter verlesen u.a Dateien, die auf einer Festplatte Wohllebens entdeckt wurden. Gespeichert sind unter anderem Lieder rechtsextremistischer Bands, wie der Song „Judenschwein“ der Gruppe „Kommando Freisler“. Q1

23. November 2016: Die Richter hören als Zeugen einen Berliner Polizisten zum Verdacht, Zschäpe und Böhnhardt hätten im Mai 2000 in Berlin die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht. Der Beamte hatte damals einen Kollegen vernommen, der die untergetauchten Rechtsextremisten nahe dem Gotteshaus gesehen haben will. Der befragte Polizist kann sich an die damalige Aussage seines Kollegen allerdings nur teilweise erinnern.

Wohllebens Anwälte versuchen weiter, über Beweisanträge rechtsextreme Propaganda in den Prozess einzuführen. Die Verteidiger beantragen, den NPD-Funktionär und „Historiker“ Olaf Rose zum vermeintlichen „Friedensflug“ von Hitlers Stellvertreter Heß nach Großbritannien zu vernehmen.

Am Rande des Prozesses wird bekannt, dass die Kölner Staatsanwaltschaft nun doch gegen einen ehemaligen BfV-Referatsleiter wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch ermittelt. Q1

30. November 2016: Götzl befragt erneut den früheren Berliner Polizisten Frank G. G. hatte bereits im Oktober 2016 ausgesagt, konnte sich aber kaum noch an den Vorgang erinnern. So ist es auch an diesem Tag, dennoch liest Götzl ihm passagenweise seine Aussage vom Mai 2000 beim Berliner LKA vor. Der Richter scheint den Angaben größere Bedeutung beizumessen. Warum, sagt Götzl nicht. Opferanwälte bewerten jedenfalls die Aussage von G. aus dem Jahr 2000 als Beleg für eine Teilnahme Zschäpes an der Ausspähung des jüdischen Gotteshauses des NSU, um eventuell einen Anschlag zu verüben. Q1

2. Dezember 2016: Vor dem PUA BW2 geben Beamte von LKA und BKA Auskunft über die Arbeit des gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus. Nur das BKA habe Datensätze mit dem BfV abgeglichen, nicht jedoch die VfS-Ämter der Länder. Zudem gibt der frühere BND-Präsident Uhrlau an, keine Kenntnisse über eine Geheimdienstoperation im Heilbronn zu haben. Q1

5. Dezember 2016: Das brandenburger Justizministerium gibt bekannnt, neue Akten mit Bezug zu Piatto gefunden zu haben und diese den PUAs BT2 und BB übersandt zu haben. Es handele sich dabei um Ermittlungsverfahren, die in Registerbüchern aufbewahrt worden waren. Q1

8. Dezember 2016: Zschäpe lässt am 328. Tag über Borchert mitteilen, dass sie zum Fall Peggy nichts weiß. In ihrer Einlassung behauptet Zschäpe auch, nichts von kinderpornografischem Material auf einem Computer gewusst zu haben, der im Brandschutt des Hauses in Zwickau gefunden wurde. Sie habe von den Bildern auf der Festplatte erst bei der Einsicht in Ermittlungsakten erfahren. Q1

Vor dem PUA BB spricht sich Brandenburgs Innenminister Schröter – wie schon VsBB-Chef Weber weniger Tage zuvor – für mehr Personal beim Geheimdienst aus. Die MAZ schreib: „Höchster Stand rechtsextremistischer Gewalt seit 1993; größte Anzahl gewaltbereiter Rechter sowie höchste Mitgliederzahlen in Neonazi-Gruppen seit Bestehen des Bundeslandes. Nie habe es im Land mehr radikale Islamisten – Weber nannte 100 – gegeben. Außerdem sei die Anzahl von Gewalttaten mit linksextremem Hintergrund so hoch wie nie seit der Wende. Etliche Verfassungsschützer seien derzeit zudem damit beschäftigt, für den NSU-Untersuchungsausschuss Akten zu suchen und andere Zuarbeiten zu leisten. Gleichwohl sagte Schröter: „Die Arbeitsfähigkeit bleibt gegeben“. Im aktuellen Haushalt sei ein Erhalt der 90 Stellen in der Behörde vorgesehen, zehn zur Streichung vorgesehene Posten blieben erhalten. „Es ist ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und Machbaren“, so der Innenminister.“ Q1

13. Dezember 2016: Ein weiteres Detail aus dem Geständnis des Angeklagten Carsten S. scheint sich zu bestätigen. Ein BKA-Beamter berichtet, in Chemnitz hätten zwei Personen ausgesagt, sich daran erinnern zu können, dass im Juni 2000 in der Wolgograder Allee ein Mann angeschossen wurde. In der Straße hatte damals das Trio gelebt.
Carsten S. hatte zu Beginn des Prozesses berichtet, der Mitangeklagte Wohlleben habe nach einem konspirativen Telefonat mit Mundlos und Böhnhardt gesagt, „die Idioten haben jemanden angeschossen“. Die Aussage von Carsten S. gehörte zu einem umfassenden Geständnis. Der Angeklagte gab zu, die Mordwaffe nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben. Carsten S. belastete zudem Wohlleben, der die Beschaffung eingefädelt haben soll.

14. Dezember 2016: Eine Zeugin sagt, sie wisse nichts von einem gemeinsamen Aufenthalt mit Zschäpe und Böhnhardt in einem Lokal in Berlin nahe der Synagoge. Für das BKA ist die Zeugin allerdings mutmaßlich die Frau, die mit im Biergarten der Gaststätte gesessen hat. Q1

19. Dezember 2016: Sitzung PUA HE: Ein Beamter des hessischen Innenministeriums deckt die von Bouffier veranlassten Aussageverweigerungen im Fall Temme. Q1 Q2

20. Dezember 2016: Tag 331. Die „Alt-Anwälte“ von Zschäpe verhindern, dass der psychiatrische Sachverständige Saß sein Gutachten vorträgt. Aus Sicht der Verteidiger ist Saß fachlich ungeeignet. Sie beantragen, Saß von seinem Auftrag zur Begutachtung Zschäpes zu entbinden. Außerdem präsentieren die Anwälte ein „methodenkritisches Gutachten“ des Neurologen Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum. In dem Papier listet Faustmann die Punkte auf, die er in dem Gutachten von Saß für fragwürdig hält. Q1 Q2

Der PUA BB berät sich mit den Ausschussvorsitzenden aus dem Deutschen Bundestag und den Landtagen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen.

21. Dezember 2016: Der Senat lehnt den Antrag ab, den psychiatrischen Sachverständigen Saß vom Auftrag des Gerichts zu entbinden und somit sein Gutachten zur Schuldfähigkeit Zschäpes zu torpedieren. Die Richter haben keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation. Die Anwälte reagieren mit einem Befangenheitsantrag – „im Interesse von Frau Zschäpe“. Im Namen der Angeklagten können die drei Verteidiger nicht sprechen, da Zschäpe sie ablehnt. Doch Borchert stellt dann für Zschäpe ein Ablehnungsgesuch und nennt als Begründung den Inhalt des Befangenheitsantrags von Heer, Stahl und Sturm. Das ist das erste Mal, dass die neue und alte Verteidigung Zschäpes gemeinsame Sache machen. Der letzte Prozesstag im Jahr 2016 endet, ohne dass Saß sein Gutachten vortragen kann. Das Gutachten gibt keine Hinweise auf verminderte Schuldfähigkeit bei Zschäpe und vermutet bei ihr ein antisoziales Verhalten. Q1

Stand: 6.6.17

>>> weiterlesen: Kapitel 39


Quellen und weiterführende Links:

Chronik der Aufklärung (Kapitel 33): März+April 2016 – Chemnitz und Zwickau / Neue Enthüllungen / PUA Brandenburg

#NSU #NSUBlog

2. März 2016: Zwölfter Befangenheitsantrag gegen Richter Götzl wird abgewiesen.

Des weiteren berichten Zeugen vor Gericht vom Raubüberfall auf eine Postfiliale am 5. Juli 2001 in Zwickau. Mit Reizgas erbeuteten Böhnhard und Mundlos 74.400 D-Mark.

Außerdem erneute Befragung von Reiner G., ehemaliger VsBB-V-Mann-Führer von Piatto. Zu einem Handy, auf dem der Anruf eines sächsischen Rechtsextremisten gespeichert war, der nach „dem Bums“ fragte, kann der Beamte kaum etwas sagen. Q1, Q2, Q3,

3. März: 267. Verhandlungstag. Teils noch traumatisierte Zeugen von Überfällen auf Filialen der Sparkasse in Chemnitz. Q1, Q2,

In der mündlichen Verhandlung des NPD-Verbotsverfahrens am BVerfG tragen VfS-Erkenntnisse eine Verherrlichung des NSU innerhalb der NPD vor. Dennoch sei die Partei aus Sicht der Behörden nicht keine große Gefahr. Q1

Vor dem PUA TH 2 entkräften zwei Zeugen aus der Rechtsmedizin Jena, die damals die Obduktion von Böhnhard und Mundlos durchführten, scheinbare Widersprüche der Nicht-Selbstmordtheorie. Q1, Q2,

4. März: Vor dem PUA NRW beruft sich der Dortmunder Neonazi Robin S. mehrfach auf sein Schweigerecht. Er ist ein Brieffreund Zschäpes und soll zu einer ähnlichen Untergrundzelle in Dortmund gehört haben. Q1, Q2,

8. März: AfVTH-Präsident Kramer plädiert für eine Ausweitung neuer V-Personen in der rechten Szene. Unterstützung erhält er vom Vorsitzenden des PUA BT2 Binninger. Mitglieder der Thüringischen Landesregierung sowie des Landtages widersprachen hingegen und verwiesen auf ungewollte Stärkungseffekte durch diese Maßnahmen. Q1,

Mehrere Kriminalpolizisten sagen vor Gericht zu den Raubüberfällen auf Post und Sparkassen in Chemnitz und Zwickau aus. Zwei Männer waren auf den Bildern der Überwachungskameras zu erkennen, konnten aber angesichts ihrer Maskierung nicht ermittelt werden. Q1,

9. März: Der Angeklagte Carsten S. betont noch einmal, Wohlleben sei die treibende Kraft bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 gewesen. Wohlleben habe ihm gesagt, dass er die Pistole über den Jenaer Szeneladen „Madley“ bekommen könne und Wohlleben habe das Geld für den Kauf der Pistole besorgt. S. hat bereits zu Beginn des Prozesses ein umfassendes Geständnis abgelegt. Seine Angaben werden von Wohlleben bestritten.
In der Verhandlung wird bekannt, dass zwei Stunden nach dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße erste Fernsehberichte vom Tatort auf dem Videorekorder in der Zwickauer Wohnung gespeichert wurden. Der Verdacht fällt auf Zschäpe. Sollte sie den Rekorder betätigt haben, wäre sie vermutlich früher in die Anschlagspläne eingeweiht gewesen, als sie in ihrer Einlassung im Dezember 2015 behauptet hat. Q1,

Der Prozess wird um 39 Tage bis Januar 2017 verlängert.

13. März: Die WELT berichtet, Belege zu haben wonach das Brandenburger Innenministerium 1998 die von der Thüringer Polizei erbetene Unterstützung für eine Observation von Kontaktpersonen der untergetauchten Nazis verweigert und damit eine Festnahme der drei verhinderte.

15. März: Zwei BKA-Ermittler sprechen am 270. Tag über die Auswertung der Bekennervideos. Anhand zahlreicher Einzeldateien war die genaue Produktion des Videos detailliert nachzuvollziehen. Böhnhardt und Mundlos seien wahrscheinlich für das Drehbuch verantwortlich.

Gleichzeitig erheben Nebenkläger die schweren Vorwürfe gegen den VsBB, wie sie bereits von der WELT berichtet wurden. Die Anwälte einer Familie, deren Sohn von 2006 in Kassel mutmaßlich von Mundlos und Böhnhardt erschossen wurde, verlesen einen Beweisantrag, in dem es heißt, die Brandenburger Behörde habe 1998 die Festnahme von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe verhindert. Nicht nur andere Opferanwälte schließen sich dem Antrag an, sondern auch die Verteidiger des mitangeklagten Wohlleben. Q1, Q2, Q3,

16. März: In einer in der Verhandlung verlesenen Aussage Zschäpes wird berichtet, dass sie mehrfach von Böhnhardt geschlagen wurde. Das sei vor allem in der Anfangszeit des Untergrundlebens nach 1998 passiert. Nach Zschäpes Darstellung sei Böhnhardt sowohl ihr als auch Mundlos in Diskussionen unterlegen gewesen. Wenn er nicht weiter gewusst habe, sei er gewalttätig geworden. André E. und dessen Ehefrau habe zudem über die Banküberfälle Bescheid gewusst, die Böhnhardt mit Mundlos verübt haben sollen. Von den Morden und Sprengstoffanschlägen soll das Ehepaar dagegen nichts gewusst haben. Zschäpe gab auch Auskunft über den Tag, an dem das Trio aufflog. Nachdem sie die Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt hatte, habe sie sich mit André E. getroffen. Die beiden seien dann zu ihm gefahren, wo E. ihr frische Sachen seiner Frau gegeben habe, „da meine Kleidung stark nach Benzin roch“. Anschließend habe er sie zum Chemnitzer Bahnhof gebracht. Nach einer mehrtägigen Irrfahrt mit der Bahn stellte sie sich letztlich der Polizei. Q1, Q2, Q3,

17. März: PUA BT2. BKA-Beamte geben an, dass die Ermittlungen und der Kontakt bezüglich aller VfS-Ämter auf Weisung der GBA ausschließlich über selbige laufen durfte, was dieser eine Schlüsselrolle in der Informationsweitergabe einräumte. Q1, Q2,

Wohllebens Anwälte verlangen, dass Verfahren gegen ihren Mandanten abzutrennen und auszusetzen. Aus Sicht der Verteidiger hält die GBA Material zurück und reicht es „nach Gutdünken“ zu den Gerichtsakten. Konkret geht es um ein T-Shirt mit der Aufschrift „Eisenbahnromantik“, abgebildet ist auch die Zufahrt zum Konzentrationslager Auschwitz. Die Textilie wurde laut GBA bei der Durchsuchung der Wohnung Wohllebens sichergestellt. Die GBA hatte das Shirt zunächst für „nicht relevant“ gehalten, doch nach der Aussage Wohllebens zu den Sachakten gegeben.
Da Wohlleben „tatferne ideologische Einstellungen“ präsentiert habe, sei das T-Shirt nunmehr doch relevant, sagt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten. Wohlleben hatte in seiner Einlassung behauptet, er bedauere „jede Gewalttat, durch die Menschen getötet oder verletzt werden“. Wie das zu einem T-Shirt mit einem Bild vom KZ Auschwitz passt, sagen die Verteidiger und ihr Mandant nicht. Richter Götzl bricht den Verhandlungstag ab. Q1, Q2, Q3,

20. März: Die Linke in Brandenburg legt einen Fragenkatalog zum geplanten PUA vor und fordert, den VsBB entsprechend dem Thüringer Vorbild, zu einem transparenten Rechercheinstitut umzubauen. Q1

22. März: Der MDR bestätigt, dass MDR-Radio Thüringen und der in Zwickau empfangbare Privatsender Antenne Thüringen am 4.11.2011 um 14 Uhr erstmals über einen Zusammenhang zwischen einem Bankraub und zwei Toten in einem Wohnmobil berichteten. Die Aussage Zschäpes, Sie haben vom Tod durch das Radio erfahren, scheint dadurch glaubwürdig. Q1,

4. April 2016: In Dortmund gedenken zum zehnten Todestag von Mehmet Kubasik ein Bündnis von dreißig Vereinen, Parteien Institutionen und Organisationen an die Opfer des NSU-Terrors. Q1

5. April: Richter Götzl verkündet den Beschluss, der Antrag Wohllebens auf Aussetzung werde abgelehnt. Es treffe nicht zu, dass die Akten unvollständig seien. Wohllebens Anwälte erheben eine „Gegenvorstellung“ und beantragen, den Prozess für eine Woche zu unterbrechen, um Einsicht in die Dateien eines USB-Sticks und die Fotos von aus der erkennungsdienstlichen Behandlung Wohllebens nehmen zu können. Götzl gibt nach und unterbricht die Hauptverhandlung, erst kommende Woche soll es weitergehen. Bevor die Prozessbeteiligten gehen können, stellt Götzl allerdings Zschäpe noch mehrere Fragen. Den Richter interessieren vor allem Details zu der Verbindung von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu dem Mitangeklagten Holger G. Er hatte die Terrorzelle unterstützt, beteuert aber, von ihren Taten nichts gewusst zu haben. Die Antworten auf Götzls Fragen wird vermutlich Zschäpes Verteidiger an einem der nächsten Verhandlungstage verlesen. Q1,

6. April 2016: In einer TV-Doku wird der Verdacht bekannt, dass der Rechtsextremist Marschner in seiner Baufirma zwischen 2000 und 2002 Mundlos beschäftigt hat. Marschner hatte 2013 dem BKA gesagt, bei ihm habe ein Max Burkhardt (Tarnname von Mundlos) gearbeitet. Möglicherweise war auch Böhnhardt für die Baufirma und Zschäpe für eine andere Firma tätig. Q1,

12. April 2016: Das PKG des Brandenburger Landtages tagt erstmals öffentlich. Vertreter des Innenministeriums beteuern, dass das Führen des V-Mannes Piatto ergiebig und korrekt gewesen sei. Über seine Meldungen bezüglich des Trios seien andere VfS-Ämter zeitnah informiert worden. Die Opposition aus CDU und Grünen kritisiert anschließend, dass der VsBB die Informationen zur Weitergabe an die Polizei gesperrt hatte. Die Opposion fordert wetierhin einen PUA. Q1,

Wohllebens Verteidiger präsentieren am 274. Verhandlungstag einen weiteren Befangenheitsantrag. Er richtet sich gegen alle fünf Mitglieder des 6. Strafsenats. Anlass ist der Beschluss der Richter von vergangener Woche, einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens abzulehnen. Götzl befragt dennoch zwei Zeugen zu einem Raubüberfall auf eine Postfiliale in Zwickau im Jahr 2001. Q1,

Außerdem stellen neun Opferanwälte den Antrag, den früheren Spitzel Marschner und seinen ehemaligen V-Mann-Führer vom BfV als Zeugen zu laden. Die Opferanwälte fordern vom Strafsenat auch, er solle dem Verdacht nachgehen, Zschäpe könnte in einem von Marschner betriebenen Szeneladen tätig gewesen sein. Q1, Q2,

13. April 2016: Erneute Befragung vor Gericht eines Zeugen aus dem Milieu der organisierten Kriminalität in Thüringen. Der Mann gibt aber, wie schon am 260. Prozesstag, zum Thema Waffen für den NSU nur Andeutungen von sich. Q1,

Am Rand der Verhandlung wird ein weiterer, handschriftlich verfasster Brief von Zschäpe an Richter Götzl bekannt. In dem Schreiben „entschuldigt“ sich Zschäpe für das Verhalten ihrer Anwälte Heer und Stahl. Diese hatten am 272. Tag einen Zeugen daran hindern wollen, eine persönliche Erklärung abzugeben. Den Bankkaufmann hatten Mundlos und Böhnhardt im Mai 2004 beim Überfall auf eine Filiale der Sparkasse in Chemnitz bedroht. Nach seiner Aussage forderte der Zeuge noch im Gerichtssaal eine offizielle Entschuldigung auch bei den Opfern, die den NSU-Terror überlebt haben. Der Mann nannte konkret den Bundespräsidenten und den Bundestagspräsidenten. Bei der Gedenkfeier für die Opfer des NSU im Februar 2012 in Berlin hatte Kanzlerin Merkel nur die Angehörigen der Ermordeten um Verzeihung gebeten, weil diese zu Unrecht von der Polizei krimineller Machenschaften verdächtigt wurden. Q1, Q2,

14. April 2016: PUA BT2 hört Kriminalbeamte zum 4.11.2011. KOK verteidigt erneut das Abschleppen des Wohnwagens. U.a. sei eine Bergung der Leichen vor Ort aufgrund der anwesenden Öffentlichkeit pietätslos gewesen. Q1,

14./15. April 2016: Vor dem PUA NRW beginnt die Aufarbeitung des Falls des rechtsextremen Polizistenmörders Michael Berger. Erste Polizeiaussagen können nicht erhellen, warum im Nachgang der Taten weder dem Nazinetzwerk noch dem Waffenarsenal nachgeforscht wurde. Q1,

15. April 2016: Erstmals werden ehemalige Neonazis vor einem PUA gehört. der PUA Hessen befragt zwei, die wenig Informationen über die nordhessische Szene liefern. Q1, Q2, Q3,

19. April 2016: In Freital wird aufgrund der seit April 2015 laufenden Vorgänge rund um die Bürgerwehr „FTL 360“ eine Großrazzia durchgeführt. Mehreren Festgenommenen wird vorgeworfen, die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ gegründet zu haben. Q1, Q2,

Der Befangenheitsantrag Wohllebens gegen den Strafsenat wird am 276. Tag abgelehnt. Richter Götzl stellt Zschäpe weitere Fragen. Der Strafsenat will unter anderem wissen, wer Zugriff auf das Geld aus den Banküberfällen hatte, seit wann Zschäpe die Mitangeklagten Wohlleben und Holger G. kennt und wie häufig sie Kontakt zu ihnen hatte, ob Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ein Motorrad besaßen und ob bei den Straftaten Motorräder zum Einsatz kamen.

Als Ersatzverteidiger Wohllebens tritt zum ersten mal der ehemalige bayerische Amtsrichter Maik Bunzel auf. Q1,

20. April 2016: Opferanwälte geraten mit der GBA aneinander. Diese hält es nicht für nötig, Marschner als Zeugen zu laden. Ein Nebenklage-Anwalt wirft der Anklagebehörde vor, sie wolle „den Verfassungsschutz schützen“. Bundesanwalt Diemer weist den Vorwurf „aufs Schärfste“ zurück. Q1, Q2, Q3, Q4,

21. April 2016: Zwei Kriminelle aus Jena verweigern vor Gericht die Aussage, um sich nicht selbst zu belasten. Die Zwillingsbrüder stehen in Verdacht, als ehemalige Chefs einer Bande mit Waffen gehandelt und womöglich auch den NSU versorgt zu haben.
Richter Götzl verkündet zudem, ein Beweisantrag von Nebenklägern zum verstorbenen V-Mann „Corelli“ und einer mysteriösen CD zu „NSU/NSDAP“ werde abgelehnt. Q1,

27. April 2016: Ein Richter berichtet vor Gericht über eine Aussage der Ehefrau des Schweizers Anton G., der an der Beschaffung der Ceska 83 beteiligt war. Die Frau hatte bei einer Vernehmung in der Schweiz angegeben, nicht viel mitbekommen zu haben. Ihr Mann habe mal ein Paket bekommen und ungeöffnet weitergereicht. In dem Paket lag wahrscheinlich die Waffe samt Schalldämpfer, es ging dann offenbar an den Schweizer Hans-Ulrich M. Von ihm aus soll die Pistole über mehrere Stationen zum NSU gelangt sein. Der Richter, der sich nun zu Frau G. äußert, war im Auftrag der Bundesanwaltschaft in die Schweiz gereist, um die Vernehmung dort zu beobachten. Weder Frau G. noch ihr Mann wollen in München aussagen. Q1, Q2,

Der PUA NRW hört einen Zeugen, gegen den im Vorfeld Ordnungsgeld und polizeiliche Vorführung verhängt wurde. Q1, Q2,

Neuer Prozess vor dem OLG München: Verhandlungsbeginn gegen die Führungsspitze der rechtsextremen „Oldschool Society“ (OSS). Q1,

28. April 2016: Vor dem PUA TH2 widerspricht der Einsatzleiter vom 4.11.2011, Menzel, mehreren Zeugenaussagen. U.a. behauptet er, es sei kein Schutz vor Witterung am Tatort gegen gewesen. Deshalb hätte das Wohnmobil noch vor dem Eintreffen von THW und Tatortgruppe abgeschleppt werden müssen. Q1,

Borchert fordert am 280. Tag, den Prozess für 100 Wochen auszusetzen. Solange werde er brauchen, um zu prüfen, ob die vom Gericht digital übermittelten Akten zum Verfahren auch den Originalakten entsprechen. Bundesanwalt Diemer empfiehlt die Ablehnung des Antrags und hält Borchert „utopische Zeitansätze“ vor. Q1,

Wohllebens Verteidiger beantragen, noch mal Tino Brandt als Zeugen zu laden. Der ehemalige Neonazi-Anführer und Ex-V-Mann des TLfV solle gefragt werden, ob er dem Angeklagten Carsten S. das Geld für den Kauf der Mordwaffe Ceska 83 gegeben hat. Carsten S. beschuldigt Wohlleben, für die Finanzierung verantwortlich zu sein. Q1,

29. April 2016: Einstimmige Einsetzung des PUA Brandenburg im Landtag. In der Pressemitteilung dazu heißt es:

Der Untersuchungsausschuss soll umfassend aufklären, ob ein Handeln oder Unterlassen der Brandenburger Sicherheits- und Justizbehörden die Bildung und die Taten der Terrorgruppe ‚Nationalsozialistischer Untergrund’ (NSU) sowie deren Unterstützer begünstigt und/oder die Aufklärung und Verfolgung der von der Terrorgruppe begangenen Straftaten erschwert haben. In den Fokus rückt dabei auch das Zusammenwirken mit Bundesbehörden und Behörden anderer Länder. Es soll ebenfalls ermittelt werden, ob alle rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten durch Brandenburger Sicherheits- und Justizbehörden ausgeschöpft wurden.

Die neunen Mitglieder sind:

Für die SPD: Holger Rupprecht (Vorsitz), Inka Gossmann-Reetz, Björn Lüttmann, Uwe Schmidt

CDU: Björn Lakenmacher, Dr. Jan Redmann

LINKE: Andrea Johlige, Dr. Volkmar Schöneburg

AfD: Andreas Galau

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ursula Nonnemacher

Q1, Q2, Q3, Q4

 Stand: 27.06.2019

>>> Kapitel 34 Weiterlesen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 32): Februar 2016 – Anhaltende Verfahrenssabotage / weitere Todesfälle

#NSU #NSUBlog

1. Februar 2016: Der ehemalige BfV-Präsident Fromm gibt vor dem PUA Hessen erneut bekannt, dass Anfragen des BMI vor 2011 bezüglich einer „braunen RAF“ nie positiv bestätigt wurden. Die Taten des NSU lagen vor dessen Enttarnung in Ermangelung jeglicher Hinweise außerhalb der Vorstellung der Sicherheitsbehörden. Mehreren VfS-Behörden lagen jedoch umfangreiche Erkenntnisse vor. Er verweist darauf, dass Temmes V-Leute zwingend hätten vernommen werden müssen. Eine Zeugin R. berichtet zudem, dass Temmes V-Leute der Polizei bereits bekannt waren, es deshalb umso unverständlicher sei, warum diese nicht hätten befragt werden dürfen. Sie berichtet zudem von Versäumnissen und Fehlern von Temme sowie im LfVHE bis zur Austausch der Amtsleitung 2007. Temmes damaliger Vorgesetzter Muth bestätigt anders als alle bisherigen Zeugen, dass LfVHE und das BKA sich im März 2006 über rechtsextreme Hintergründe der Ceska-Serie austauschten. Q1 Q2 Q3 Q4

2. Februar: Verhandlungstag 258. Götzl stellt Zschäpe weitere Fragen zu ihren Aussagen. Der Richter will unter anderem wissen, wieviel Alkohol sie trank, bevor sie die Wohnung in Zwickau anzündete. Auch zu diesen neuen Fragen werden Zschäpe und ihre zwei neuen Anwälte schriftliche Antworten formulieren. Unterdessen sieht sich Götzl einem neunten Ablehnungsgesuch ausgesetzt. Zschäpe und ihr Verteidiger Grasel halten dem Richter vor, er sei befangen, da er den Antrag auf Entbindung der drei Anwälte Heer, Stahl und Sturm abgelehnt hat. Q1

4. Februar: Die Verteidiger Wohllebens kündigen einen Befangenheitsantrag an. Richter Götzl gewährt den Anwälten zwei Stunden für die Formulierung. Doch die Verteidiger stellen den Antrag dann doch nicht. Warum, bleibt unklar. Q1

5. Februar: Götzl entscheidet, Borchert nicht als fünften Pflichtverteidiger Zschäpes zuzulassen. Q1

8. Februar: Sascha W, Verlobter der am 28.03.15 an einer vermeintlichen Lungenembolie gestorbenen Melisa M, wird tot aufgefunden. Eine Obduktion kann kein Fremdverschulden nachweisen. Es liegt eine elektronische Abschiedsnachricht von ihm vor. Details behält die Staatsanwaltschaft vor. Es ist der dritte Todesfall im baden-württemberger NSU-Umfeld. Q1 Q2

11. Februar: Auf Antwort auf eine Anfrage der Grünen berichtet das sächsische Innenministerium, dass der Lagefilm aus dem Polizeirevier Zwickau vom 4. und 5. November 2011 routinemäßig nach zwei Jahren gelöscht wurde. In dem Lagefilm wurden die ersten Ermittlungen, Beobachtungen sowie genaue Zeiten rund um den mutmaßlich  gelegten Brand in dem Zwickauer Unterschlupf festgehalten. Das Innenministerium gibt an, dass alle wesentlichen Erkenntnisse in nachfolgende Ermittlungsakten aufgenommen wurden und daher das Löschmoratorium nicht Anwendung fand. Q1

Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag gibt bekannt, dass sie Ministerpräsident Ramelow zu seiner Begegnung mit Mundlos und Böhnhardt 1996 vor dem PUA befragen lassen will. Die Begegnung und der damit zusammenhängende Gerichtsprozess waren bereits im ersten PUA abgearbeitet worden.

16. Februar: Jens L. aus dem Milieu der organisierten Kriminalität in Thüringen spricht am 260. Verhandlungstag von der Erwägung seiner Bande in der Umbruchzeit der 1990er Jahren, im Osten die rechte Szene mit Waffen auszustatten. Ob er Mundlos und Böhnhardt kannte, will der Mann aber nicht sagen. Als bekannte Gesichter nennt er allerdings die Angeklagten Wohlleben, André E. und Holger G. Aber auch zu ihnen fällt ihm dann nichts mehr ein. Götzl unterbricht die Befragung, da der Zeuge seine Aussage nicht ohne einen Anwalt fortsetzen will. Q1 Q2 Q3 Q4

17. Februar: Ein ehemaliger Mitarbeiter der Sparkasse Zwickau schildert, wie er Böhnhardt bei einem Banküberfall entgegen trat und dabei in den Bauch geschossen wurde woraufhin Böhnhardt  ohne Beute floh. Der Strafsenat gibt zudem die Ablehnung weiterer Anträge von Nebenklage-Anwälten bekannt. Die Richter halten es für unter anderem für unnötig, der Schredder-Affäre des BfV nachzugehen. Q1 Q2 Q3

18. Februar: Der Landtag BW diskutiert den Abschlussbericht des PUA. Ein Fokus liegt auf Empfehlungen zur Ausweitung polizeilicher Befugnisse. Außerdem wird beschlossen, dass der nächste Landtag die Arbeit weiterführen soll. Der Bericht wird in kommenden Wochen anonymisiert im Internet veröffentlicht. Die Stuttgarter Nachrichten belegen, dass der Abschlussbericht mangelhafte Passagen aufweist. Q1

Elfter Befangenheitsantrag gegen Götzl. Diesmal weil er die für Angeklagte geltende Unschuldsvermutung in einem Passus aufgehoben haben soll. Mit einem Satz komme zum Ausdruck, die Richter seien der festen Ansicht, der Angeklagte Wohlleben habe die ihm vorgeworfenen Taten begangen, trug dessen Verteidiger Olaf Klemke vor. Q1 Q2

23. Februar: Mediziner beschreiben vor Gericht die Verletzungen, die ein Mitarbeiter der Zwickauer Sparkasse bei dem Überfall von Uwe Böhnhardt auf eine Filiale am 5. Oktober 2006 erlitt. Der von dem Neonazi abgegebene Schuss in den Bauch des Auszubildenden wird von einem Sachverständigen als potenziell lebensgefährlich bewertet. Außerdem berichtet ein Waffenexperte des BKA, das von den aufgefundenen Waffen der Terrorzelle nur zwei ein Gewinde für einen Schalldämpfer hatten, die Pistole Ceska 83 und eine Maschinenpistole. Damit scheinen kaum noch Zweifel möglich zu sein, dass es diese Pistole mit Schalldämpfer war, die der Angeklagte Carsten S. im Frühjahr 2000 zu Böhnhardt und Mundlos gebracht hatte. Mit der Waffe erschossen die beiden neun Migranten. Carsten S. hat die Lieferung zu Beginn des Prozesses gestanden und den Angeklagten Ralf Wohlleben beschuldigt, den Kauf der Pistole in Jena eingefädelt zu haben. Wohlleben bestreitet, außerdem ist für ihn angeblich gar nicht sicher, dass Carsten S. damals mit der Ceska unterwegs war. Q1

24. Februar: Richter Götzl übersteht auch den elften Befangenheitsantrag. Wohlleben und seine Verteidiger hatten Götzl und dessen vier Kollegen des 6. Strafsenats einen Fehler in einem Gerichtsbeschluss vorgehalten. „Die Vernichtung der Akten auf Anordnung des benannten Zeugen erfolgte nach der letzten Straftat der angeklagten Personen“, heißt es in dem Papier. „Nach der letzten Straftat der angeklagten Personen“ werteten Wohllebens Verteidiger wie auch Zschäpes Anwalt Grasel als Ende der Unschuldsvermutung. Die Richter des Oberlandesgerichts München, die über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden hatten, wollten jedoch eine „weniger geglückte Formulierung“ nicht als Befangenheit werten. So geht der Prozess weiter. In der Verhandlung äußert sich ein Waffenexperte des BKA zu zwei Maschinenpistolen und weiteren Waffen der Terrorzelle. Q1 Q2

25. Februar: Verhandlungstag 265. Wohllebens Verteidiger präsentieren einen weiteren Befangenheitsantrag. Er richtet sich gegen den gesamten Strafsenat. Für Richter Götzl ist es bereits das zwölfte Ablehnungsgesuch, mit dem er konfrontiert wird. Anlass für den Antrag ist ein Beschluss der Richter, die von den Verteidigern Wohllebens geforderte Aufhebung des Haftbefehls abzulehnen. Der Strafsenat hält Wohlleben weiterhin für dringend tatverdächtig, an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 für den NSU beteiligt gewesen zu sein. Aus Sicht der Richter hat auch Wohllebens Aussage, mit der er nach jahrelangem Schweigen im Dezember begann, nichts geändert. Ebenso wie die Einlassung von Zschäpe. Sie hatte über ihren Anwalt Grasel mitteilen lassen, der sächsische Skinhead Jan W. könnte eine Waffe mit Schalldämpfer geliefert haben. Das ist den Richtern zu vage. Q1

26. Februar: PUA Hessen: Der ehemalige V-Mann Temmes, Benjamin G., spielt ebenso wie der zweite Zeuge aus der rechtsextremen Szene, Michel F., ihre Arbeit für das LfVHE herunter. Q1 Q2

Vor dem PUA TH 2 schildert ein am 4.11.11 am Wohnmobil anwesender Polizist, dass sein damaliger Einsatzführer noch am Tatort im Wohnmobil stehend mit „einer Art Gartenharke“ gearbeitet hätte. Zudem schildert er, dass bei der Bergung der Leichen in der Autohalle u.a. die Gefahr bestand, dass sich Schüsse aus Pistolen lösten, auf denen die Leichen lagen. Q1

PUA NRW: Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter des VsNRW berichten nichts neues. Da der polizeiliche Staatsschutz 2001 organisierte Kriminalität meldete, wurde der VfS nicht intensiver in die Ermittlungen mit eingezogen.

 Stand: 15.5.16

>>> Kapitel 33


Links:

Chronik der Aufklärung (Kapitel 29): Oktober 2015 – Prozess im Endstadium

#NSU #NSUBlog

2. Oktober 2015: Ein angebliches Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße, das vom OLG als Nebenklägerin zugelassen wurde, offenbart sich als nicht existent. Der Eschweiler Anwalt Ralph W., der die angebliche Meral K. vertritt, erklärt, Frau K. sei „wahrscheinlich überhaupt nicht existent“. Die „Existenz und Opfereigenschaft“ sei von einem anderen Nebenkläger vorgetäuscht worden. Die türkischstämmige Frau wurde bereits zweimal vorgeladen, erschien jedoch nie, angeblich aus gesundheitlichen Gründen.

W. legt kurze Zeit später sein Mandat nieder und stellt Strafanzeige gegen einen vermeintlichen Vermittler des Kontakts. Bis zur Niederlegung habe der Anwalt etwa 211.000 Euro unter anderem für Honorar und Reisekosten aus der Gerichtskasse erhalten. 2017 wird er zur Rückzahlung der Summe aufgefordert. Im August 2020 beginnt ein Strafverfahren gegen W. vor dem Aachener Landgericht wegen des Vorwurfs des Betrugs und der Urkundenfälschung. Ralph W. bestreitet, bewusst und gezielt betrogen zu haben. Ein anderer, inzwischen verstorbener Nebenkläger habe ihm damals die türkische Mandantin vermittelt und für ihn alle erforderlichen Unterlagen besorgt. Für die Vermittlung soll W. dem Mann eine Provision gezahlt haben. Der 52 Jahre alte Anwalt sieht sich selbst als Opfer. Die Staatsanwaltschaft forderte zuletzt ein Strafmaß von zwei Jahren Bewährungshaft.

Am 30.11.2020 wird W. vom LG Aachen freigesprochen. Als Rechtsanwalt der Nebenklage habe W. zwar gegen viele anwaltliche Sorgfaltspflichten verstoßen und grob fahrlässig gehandelt. Aber Absicht oder Vorsatz seien nicht zweifelsfrei festzustellen. Zudem kenne das Gesezt keinen fahrlässigen Betrug. Das Urteil wird im Juni 2021 rechtskräftig, nachdem die StA die Revisin zurückgezogen hat. Q0 Q1 Q2 Q3 Q4 Q5 Q6

5. Oktober: Vor dem PUA Sachsen-2 berichtet der Bereitschaftspolizist Jörn N. über seinen Fund der Ceska-Pistole am 9. November 2011 in den Trümmern des Zwickauer Hauses. Aufgabe des damaligen Polizeischülers sei es gewesen, den Schutt in Schubkarren zu verladen und zu einem Sammelplatz zu bringen, wo er akribisch durchsucht werden sollte. Schon bald wurde klar, dass es sich um weit mehr als schnöde Gebäudereste handelte: Neben Balken, Brettern und Ziegeln seien auch eine Maschinenpistole und ein Revolver gefunden worden, dazu Gläser voller Schwarzpulver und Schachteln mit Munition. Zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wurden nach den brisanten und gefährlichen Funden nicht veranlasst: Weder Hunde noch Metalldetektoren seien eingesetzt worden, sagte N. Die Ceska wurde schließlich gegen Ende des Einsatzes entdeckt: »Was ich für ein Heizungsrohr hielt, entpuppte sich als Schalldämpfer«, sagte N. Um welche Waffe es sich handelte, habe er Tage später nach Zeitungsberichten gewusst: »Da wurde mir klar, das ist was Besonderes.« Unklar bleibt nach der Vernehmung, wie exakt der Fundort der Ceska dokumentiert wurde. Der Zeuge erklärte, er habe zwar selbst kein Foto angefertigt; ein anderer Beamter habe die Situation aber festgehalten. Sobald er das Fundstück als Waffe identifiziert hatte, habe er sie wieder abgelegt und fotografieren lassen.

7. Oktober: 234. Tag. Richter Götzl und zwei Kollegen geraten unter Druck, nachdem bekannt geworden ist, dass es eine Nebenklägerin Keskin gar nicht gibt und der Anwalt des Phantoms sein Mandat niedergelegt hat. Drei der vier Verteidiger Zschäpes zählen nun in einem Antrag die Versäumnisse der Richter auf, die dazu führten, dass 2013 ein nicht existentes Opfer des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße als Nebenklägerin zugelassen werden konnte. So unterblieben beispielsweise die von der Bundesanwaltschaft angeregten Nachermittlungen zu der ominösen Keskin, die in keiner Ermittlungsakte auftauchte. Die Anwälte verlangen von Götzl und den zwei beisitzenden Richtern dienstliche Äußerungen. Mit ihrem Vorstoß bringen sich die Verteidiger allerdings auch in Konflikt mit dem neuen, vierten Anwalt Zschäpes. Er sagt, von dem Antrag der drei Kollegen hätten weder er noch Zschäpe vorher Kenntnis gehabt. Götzl fragt nach, geht dann aber zur Tagesordnung über und vernimmt zwei Zeugen.

8. Oktober: Die Verteidiger von Wohlleben nutzen den schwelenden Konflikt zwischen Zschäpes Anwälten und stellen einen Antrag auf Aussetzung des Prozesses. Aus Sicht der Anwälte Wohllebens wird Zschäpe nicht mehr ordnungsgemäß verteidigt, das wirke sich auch auf die Situation ihres Mandanten aus. Die Verteidiger fordern auch, den Haftbefehl gegen Wohlleben aufzuheben. Götzl unterbricht die Verhandlung bis zu dem für die nächste Woche terminierten Prozesstag.

12. Oktober: Zeitgleich zu einer Sitzung des PUA Hessen präsentiert der hessische Innenminister Beuth (CDU) die Ergebnisse einer von ihm eingesetzten Expertenkommission zum NSU-Komplex. Die Ausschussmitglieder können deshalb nicht teilnehmen. Der SPD-Innenpolitiker Rudolph äußerte den Verdacht, der Termin sei „bewusst gewählt, um die Arbeit des Ausschusses zu hintertreiben“. Linken-Obmann Schaus sprach von einer „gezielten Fehlleistung des Ministeriums“. Minister Beuth hatte die Expertenkommission unter Leitung des früheren Wiesbadener Oberbürgermeisters, thüringischen Justizministers und Bundesverfassungsrichters Hans-Joachim Jentsch (CDU) vor anderthalb Jahren eingesetzt. Sie soll Vorschläge unterbreiten, welche Konsequenzen hessische Behörden aus den Ermittlungen zum Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) ziehen müssten. Mitglieder sind neben Jentsch die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), der ehemalige Berliner Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) und Hessens Ex-Justizstaatssekretär Rudolf Kriszeleit (FDP). CDU, Grüne und FDP hatten sich bei der Einsetzung des PUA 2014 enthalten und darauf verwiesen, dass die Expertenkommission aus ihrer Sicht hilfreicher sei. Mittlerweile haben Grüne und FDP erklärt, es sei ein Fehler gewesen, dem Untersuchungsausschuss nicht zuzustimmen. Es sei gut, dass es sowohl den Ausschuss als auch die Kommission gebe, heißt es in einer Zwischenbilanz von grüner Landtagsfraktion und Parteiführung zum Thema NSU. Die Expertenkommission kommt zum Ergebnis, dass in Hessen richtige Lehren aus dem Rechtsterror gezogen wurden und auch die Ermittlungen damals in Kassel nicht besser hätten laufen können.

13. Oktober: Der Strafsenat lehnt am 236. Verhandlungstag den Antrag der Verteidiger Wohllebens auf Aussetzung des Verfahrens ab. Götzl verkündet den Beschluss und macht erneut deutlich, dass sich die Verhandlung der Endphase nähert. Aus Sicht der Richter ist die Beweisaufnahme so weit fortgeschritten, dass der von Wohllebens Verteidigern als Grund für eine Aussetzung genannte Konflikt von Zschäpes drei alten Anwälten mit der Angeklagten unerheblich erscheint. Wohllebens Anwälte kontern mit einer Gegenvorstellung. Sie verweisen darauf, dass drei der vier Anwälte Zschäpes im Juli selbst beantragt hatten, die Bestellung als Pflichtverteidiger aufzuheben, weil eine ordnungsgemäße Vertretung Zschäpes nicht mehr möglich sei. Götzl bricht den Verhandlungstag am Mittag ab.

14. Oktober: Die Verteidiger von Wohlleben stellen einen Befangenheitsantrag gegen alle fünf Richter. Zuvor hatte Götzl einen Beschluss verkündet, wonach die „Gegenvorstellung“ der Anwälte zur Ablehnung der von ihnen in der vergangenen Woche geforderten Aussetzung des Prozesses zurückgewiesen wird. Den Befangenheitsantrag begründen die Verteidiger mit dem Vorwurf, die Richter würden nicht erkennen, dass Zschäpe nicht mehr sachgerecht verteidigt werde. Götzl setzt die Hauptverhandlung ungerührt fort und befragt erneut den arrogant auftretenden Rechtsextremisten Mario B., früher einer der Anführer des THS. B. war bereits im Juli als Zeuge aufgetreten. Er gibt an, er habe sich darüber geärgert, dass Zschäpe in den 1990er Jahren in Jena eine Demonstration für eine „Initiative Thüringer Heimatschutz“ angemeldet hatte. Zschäpe sei nicht autorisiert gewesen, für den THS zu sprechen. Außerdem sei der THS fälschlich „Initiative“ genannt worden. B. bringt sich mit konfusen Antworten selbst in Verdacht, für einen Nachrichtendienst gespitzelt zu haben. Sollte er V-Mann gewesen sein, wäre der THS womöglich von zwei Spitzeln geführt worden. Im Jahr 2001 war der THS-Chef Brandt als langjähriger V-Mann des Thüringer VfS enttarnt worden.

19. Oktober: Ein Polizist berichtet erstmals in der 30. Sitzung des PUA BW, er habe der Kollegin Kiesewetter auf ihren Wunsch hin seine Schicht am Tattat überlassen. Er könne sich nicht an eine Begründung davor erinnern. Nach dem Tod Kiesewetters teilte er seinen Vorgesetzten davon nichts mit, weil er keine psychologische Betreuung bekommen wollte. (Q1)

20. Oktober: 238. Tag: Ein BKA-Mann erläutert Filme aus den vier Überwachungskameras, mit denen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe von ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße aus die Umgebung beobachteten. Die gezeigten Szenen sind bieder: Zschäpes Katze läuft ins Treppenhaus, Zschäpe selbst trifft eine Mutter mit zwei Kindern. Mutmaßlich handelt es sich um die Familie des Mitangeklagten André E. Zu sehen sind auch Mundlos und Böhnhardt, beide nahezu kahlgeschoren.

Der Strafsenat führt zudem die Vernehmung des ehemaligen rechtsextremen V-Mannes Michael von D. in den Prozess ein. Zwei Richterinnen verlesen das Protokoll des 2014 von BKA und Bundesanwaltschaft geführten Verhörs. Der Ex-Spitzel berichtete, er sei 1998 von einem Thüringer Neonazi gefragt worden, ob er einen Platz wisse, wo drei flüchtige Szeneangehörige hin könnten. Sie würden „wegen Sprengstoffgeschichten“ gesucht. Michael von D. will sofort das BfV informiert haben. Der V-Mann-Führer soll ihn jedoch angewiesen haben, keinen Kontakt zu den drei aufzunehmen, da sich „schon andere“ darum kümmerten. Im November 2011, kurz nach dem Ende des NSU, wurden beim Bundesamt in der umstrittenen Schredderaktion auch Akten zu dem früheren Spitzel mit dem Decknamen „Tarif“ vernichtet.

21. Oktober: Tag 239.: Mundlos und Böhnhardt planten offenbar auch einen Anschlag auf ein Asylbewerberheim in Nürnberg. Hinweise hätten sich auf einem Stadtplan und einer elektronischen Datei gefunden, sagt ein Beamter des BKA. Auf dem Stadtplan war der Standort der Unterkunft markiert, in der Datei fanden sich passend dazu Bemerkungen wie „Tür offen“. Der BKA-Mann und eine Kollegin erläutern zudem anhand weiterer Stadtpläne und Computerausdrucke, welche Ziele der NSU im Blick hatte. Die Papiere hatte die Polizei im Brandschutt der angezündeten Wohnung in Zwickau sichergestellt. In den teilweise beschädigten Unterlagen entdeckten die Ermittler auch Hinweise auf Taten des NSU. So ist in einem Ausdruck zu Nürnberg handschriftlich „Scharrerstraße“ und „Imbiß“ vermerkt. Nahe der Scharrerstraße hatten Mundlos und Böhnhardt am 9. Juni 2005 Ismail Yasar in seinem Imbiss erschossen. In Auszügen von Stadtplänen von Arnstadt und Eisenach sind die zwei vom NSU im Jahr 2011 überfallenen Filialen der Sparkasse markiert. Mutmaßlich Mundlos und Böhnhardt zeichneten zudem Skizzen mit dem Grundriss der Banken und mehreren Details, beispielsweise dem Standort eines Tresors.

22. Oktober: Ein Ex-Beamter des BKA und eine aktive Polizistin erläutern am 240. Verhandlungstag weiteres Kartenmaterial, das im Brandschutt des Hauses Frühlingsstraße 26 in Zwickau gefunden wurde. Stadtpläne und Adressenlisten verweisen auf Ausspähaktionen des NSU gegen türkische Einrichtungen, aber auch die DKP und weitere potenzielle Anschlagsziele, sowie gegen Geldinstitute. Die beiden Zeugen nennen unter anderem die Städte Kiel, Chemnitz, Stuttgart, Dortmund, Ludwigsburg und Greifswald. Auch seien Bauerhöfe und Denkmäler markiert. Er nennt muslimische Einrichtungen grundsätzlich „islamistisch“. Als Götzl ihn fragt, was er damit meint, sagt der Ruheständler „orientalisch, osmanisch“ und „wir haben Mitbürger, die nicht zum deutschen Volke gehören“.

27. Oktober: Der PUA NRW besucht die Probsteigasse und Keupstraße in Köln. Im Anschluss an die Begehungen der Tatorte treffen die Parlamentarier in einem Café an der Keupstraße die Opfer und ihre Angehörigen sowie Menschen, die sich für die türkisch geprägte Keupstraße engagieren.

Der Fall des Phantom-Opfers „Meral Keskin“ wird mysteriöser. Ein Beamter des BKA berichtet, das reale Opfer Atilla Ö. habe nach eigenen Angaben Post des Oberlandesgerichts München für „Meral Keskin“ erhalten. Der Polizist konnte am Wohnhaus von Atilla Ö. allerdings weder am Briefkasten noch am Klingelschild den Namen des Phantom-Opfers feststellen. In der bizarren Geschichte um Keskin dringen zudem drei der vier Verteidiger Zschäpes weiter auf dienstliche Äußerungen von Götzl und zwei Kollegen. Am Nachmittag verkündet Götzl wieder mehrere Beschlüsse. Anträge von Verteidigern und Nebenklage-Anwälten werden abgelehnt. So bleiben unter anderem die geforderten Zeugenauftritte des hessischen Ministerpräsidenten Bouffier (CDU) und des früheren bayerischen Innenministers Beckstein (CSU) aus. (Q1)

28. Oktober: 242. Tag: Der Angeklagte Holger G., bislang meist eine Randfigur im Prozess, wird von mehreren Opferanwälten attackiert. Sie stellen Beweisanträge, in denen Holger G. vorgehalten wird, er sei nicht, wie von ihm behauptet, 2004 aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Holger G. habe weiterhin in Kontakt zu Neonazis gestanden und an einschlägigen Veranstaltungen teilgenommen. Der Angeklagte hatte am 7. Verhandlungstag die ihm von der Bundesanwaltschaft vorgeworfene Unterstützung des NSU gestanden und angegeben, er habe mit dem rechten Milieu gebrochen. Die Opferanwälte fordern vom Strafsenat, Zeugen zu laden, die rechtsextreme Aktivitäten von Holger G. bestätigen könnten. Der Angeklagte selbst folgt der Verlesung der Beweisanträge mit einem spöttischen Grinsen.

30. Oktober: Nur noch fünf Sitzungen ausstehend, beschließt der PUA BW eine Empfehlung für den folgenden Landtag, die Arbeit in einem weiteren PUA fortzusetzen (Q1, Q2). Es wird außerdem bekannt, dass sich zwei bisher unbekannte Zeugen des Heilbronner Attentats beim PUA gemeldet haben (Q1).

Die Vorsitzende der thüringischen Linksfraktion, Susanne Hennig-Wellsow gibt bekannt, dass die Landesregierung eine Vertrauensstelle bei der Landespolizei einrichten wird. An sie sollten sich sowohl Polizisten als auch Bürger*innen wenden können, wenn sie glaubten, es gebe bei der Polizei konkrete Probleme und Missstände.

Stand: 08.11.2021

weiterlesen: Kapitel 30


Links und Quellen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 28): September 2015 – „Der Tatrichter ist nicht zur ausufernden Aufklärung verpflichtet“

#NSU #NSUBlog

2. September 2015: Tag 225. Nach der Sommerpause agieren Wohllebens Verteidiger unvermindert aggressiv. Sie scheitern allerdings mit dem Antrag, einen Zeugen vereidigen zu lassen, der angeblich gelogen hat. Der ehemalige Skinhead Kay S. hatte berichtet, Wohlleben habe ihn mit einer Geldforderung des untergetauchten Böhnhardt konfrontiert.

3. September: Der einzige Zeuge kommt nicht, die Richter verlesen sichergestellte Briefe und andere Dokumente. In einem Schreiben aus den 1990er Jahren an Mundlos berichtet ein inhaftierter Neonazi stolz, verhindert zu haben, dass er mit einem Türken, „solch einen Lumpen“, die Zelle teilen muss.

9. September: Zum Gedenken an Envar Şimşek findet an seinem Todestag am Tatort in der Liegnitzer Straße eine Kundgebung der Initiative „Das Schweigen durchbrechen“ statt. Die Initiative will damit gleichzeitig die Ursachen kritisieren, die zum Entstehen der Terrororganisation geführt haben. „Envar Şimşek wurde ermordet, weil er nicht ins rassistische Weltbild des NSU passte“, sagte Timo Schreiner, der Sprecher der Initiative. „Und gerade seit das jetzt mit dem NSU auch aufgedeckt ist, bin ich einfach erschüttert, wie die Behörden gearbeitet haben und wie lange man eigentlich alles in die falsche Ecke gedrückt hat und das heute eigentlich immer noch nicht das Ganze aufgearbeitet ist“, sagte eine ehemalige Nachbarin von Şimşek.

PUA NRW: Wie durch Recherchen der Abgeordneten Birgit Rydlewski (Piraten) bekannt wurde, hat die Polizei in Köln nicht alle Anwohner nach dem Nagelbombenanschlag in der Keupstraße befragt. Einer der fehlenden Zeugen: Ein NPD-Mitglied. Böhnhardt soll kurz vor dem Anschlag vor dessen Haus gesehen worden sein. Der ehemalige Leiter der Ermittlungen, Markus Weber, räumte in seiner Aussage am Mittwoch vor dem Ausschuss ein, dass ihnen der Mann „durchgegangen“ sein könnte. Man habe nicht alle Anwohner unmittelbar nach der Tat angetroffen und später darauf gesetzt, dass sich Zeugen von sich aus melden.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart gibt bekannt, im August ein Verfahren eröffnet zu haben, nachdem die „Stuttgarter Nachrichten“ am 13.07.2015 aus einer nichtöffentlichen Sitzung des PUA über die Zusammenarbeit von VfS und einer Sektion des Ku-Klux-Klans in Schwäbisch Hall berichtet hatten. Es bestehe der Verdacht des Geheimnisverrats gegen Abgeordnete des Landtags, ihre Mitarbeiter und Vertreter des Innenministeriums. Derzeit warte die Staatsanwaltschaft auf eine Ermächtigung des Landtagspräsidenten, um im Parlament wegen des Verdachtes auf Geheimnisverrat ermitteln zu können. Dafür fehle noch die nötige Zustimmung aller Fraktionen. Die FDP ist noch unschlüssig.

10. September: Im hessischen Innenausschuss verweist Innenminister Beuth darauf, dass die Anzeige wegen Geheimnisverrats bezüglich der Vorwürfe gegenüber zwei nordhessischen Polizisten, sie hätten Kontakte zum B&H gehabt, direkt vom LKA kamen und es keine politische Einflussnahme gab. Die Bundesregierung hat unterdessen mitgeteilt, dass weder das BfV noch das BKA oder eine andere Bundesbehörde vor den entsprechenden Medienberichten über den Fall der beiden nordhessischen Polizisten informiert gewesen seien. Es verstärkt sich der Eindruck, dass die hessische Landesregierung die bisherigen PUAs nicht über alle Aktivitäten von Andreas Temme informiert hat, die er im Auftrag des hessischen VfS im rechten Milieu getätigt hat.

14. September: Erstmals behandelt der PUA Hessen den Fall Temme. „Aus meiner Einschätzung hätte er das Opfer sehen müssen“, sagt der Zeuge Kriminalkommissar Karl-Heinz Gerstenberg. Weitere Zeugen relativieren die Eindeutigkeit. „Es ist bis heute weiterhin nicht geklärt, ob Temme am Tatort war, als die Tat begangen wurde“, sagte CDU-Obmann Holger Bellino. SPD-Obmann Günter Rudolph sagte, Ermittler Itter habe erklärt, „dass in einem geschlossenen Raum kurz nach dem Gebrauch einer Schusswaffe der Geruch von Schmauch wahrzunehmen sei“. „Dass Temme, der geübter Sportschütze war und solche Gerüche kannte, selbst kein Schmauchgeruch wahrgenommen haben will, steht deshalb in einem klaren Widerspruch“, betonte Rudolph.

Der PUA Sachsen-2 beginnt mit Zeugenvernehmungen. Polizisten aus Zwickau können sich nicht daran erinnern, mit wem sie am 4. November 2011 alles telefonierten. Von dem Diensthandy der Polizeidirektion Zwickau war im Verlauf des 4. November mehrfach versucht worden, Zschäpe per Handy zu erreichen.

MdLs und Bundestagsmitarbeiter von B90/Die Grünen, die zugleich in den PUAs sitzen, treffen sich zum Austausch in Stuttgart. Anwesend sind MdLs aus BW (Julius Filius, Petra Häffner, Alexander Salomon), NRW (Arif Ünal) und Thüringen (Madeleine Henfling). Dazu Henfling: „Viele Tatbestände zum NSU-Komplex sind noch unklar. Offen ist beispielsweise, wieso nach derzeitigem Stand ein Beamter des LKA Baden-Württemberg die Brandursachenermittlung in Eisenach durchführte oder was für Zusammenhänge zwischen dem Mord an Michèle Kiesewetter und ihrem Geburtsort in Thüringen existieren. Solche Arbeitstreffen können dabei helfen, die Kooperation zwischen den Untersuchungsausschüssen zu stärken, gemeinsam Erkenntnisstränge aufzubauen und damit die Aufklärung zum NSU-Komplex voranzutreiben“. Ünal berichtete, dass im PUA NRW Mitarbeiter*innen von Ministerien bei nicht-öffentlichen Terminen von den Sitzungen ausgeschlossen sind. In Thüringen und BW ist dies nicht der Fall. Hierdurch würde den Zeuginnen und Zeugen ein Rahmen geboten, der eine freie Zeugenaussage ermögliche. Die  Obmänner und -frauen einigten sich auf weitere, turnusmäßige Treffen.

15. September: Jürgen Z., ehemaliger TLfV-Mitarbeiter gibt am 227. Verhandlungstag zu, den PUA Thüringen falsch informiert zu haben. Der Beamte überführt im Prozess allerdings auch den einst von ihm geführten rechtsextremen V-Mann Marcel D. („Hagel“) als Lügner. Der frühere Skinhead und Chef von B&H Thüringen hatte als Zeuge am 20. Mai vehement geleugnet, jemals Spitzel gewesen zu sein.

16. September: Ein ehemaliger Skinhead berichtet vor Gericht vom rigiden Gehabe der „Kameradschaft Jena“, der das Trio angehörte. Alkoholverbot bei Treffen, strenge Rügen für den Konsum von Haschisch.

Außerdem fordern mehr als 30 Nebenklage-Anwält*innen, im Streit um den beschlagnahmten Aktenordner des VsBR sollten die Richter den Generalbundesanwalt einschalten und notfalls eine Razzia in den Räume des Nachrichtendienstes in Potsdam anordnen. Den Anträgen wird von der GBA widersprochen. „Es muss nicht versucht werden, jedes Detail der Vorgeschichte oder des Randgeschehens zu ermitteln“, erklärte Oberstaatsanwältin Anette Greger. „Der Tatrichter ist nicht zur ausufernden Aufklärung verpflichtet.“ Der Schuldvorwurf gegen die Angeklagten sei entscheidend, „eine überschießende Aufklärung überschreitet den Zweck des Strafverfahrens“, sagte sie. Auch verwies Sie auf die Pflicht des Gerichts, die Hauptverhandlung zu beschleunigen. Es gebe keine Hinweise, dass in den Akten Dinge enthalten seien, die die Entscheidung des Gerichts beeinflussen könnten. Es sei längst alles besprochen vor Gericht. „Ein Informationsinteresse der Nebenklage an der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes“ oder die „geschichtliche Aufarbeitung der rechten Szene“ rechtfertige die Beiziehung der Akten nicht.

17. September: Weitere Polizeibeamte, die am 4. November 2011 vor Ort in Eisenach waren, werden vom PUA TH 2 befragt. Einer schildert, wie ihm schnell klar geworden sei, dass die beiden keine gewöhnlichen Bankräuber gewesen seien. Eine der 2007 in Heilbronn entwendeten und nun in dem Fahrzeug sichergestellte Pistole sei mit Behördenmunition geladen gewesen, die nicht auf dem freien Markt erhältlich sei. Ein anderer Ermittler übte Kritik an einigen Details der damaligen Polizeiarbeit. So sei für ihn unverständlich gewesen, dass das Wohnmobil zur Untersuchung bei einem Abschleppdienst gestanden habe. Es hätte auf eine Dienststelle der Polizei gehört. Das Thüringer LKA übergibt zudem dem PUA Akten, die bisher vorenthalten wurden. Die Ausschussvorsitzende Marx sagte, erst jetzt seien detaillierte Unterlagen der Kriminaltechnik zu den Eisenacher Ermittlungen 2011 eingegangen. Nach ihren Angaben lagen diese Akten bisher auch weder dem BKA noch im NSU-Prozess vor.

18. September: Auf Veranlassung des PUA BW wird die Wohnung der Familie des verstorbenen Florian H. von der Polizei durchsucht. Man versprach sich erfolglos von der Razzia, den Laptop sowie den Camcorder aufzufinden, die der junge Mann bei seinem mutmaßlichen Selbstmord bei sich hatte. Der Anwalt der Familie, Yavuz Narin, erklärt: „Familie H. hat mich ausdrücklich gebeten, alle rechtlichen Mittel gegen das rechtswidrige Verhalten der Ausschussmitglieder auszuschöpfen“. Der Ausschuss betreibe eine „Scheinaufklärung in Sachen NSU“. Narin vertritt auch im Münchener NSU-Prozess die Ehefrau des 2005 ermordeten Theodoros Boulgarides.

Nach Zustimmung aller vier Fraktionen erteilt BW-Landtagspräsident Klenk (CDU) gegenüber dem Justizministerium seine Ermächtigung zu einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Unbekannt. Es geht um den Verdacht der Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht.

21. September: Die PUA-BW-Obleute aller vier Fraktionen einigen sich darauf, bestimmte nicht-öffentliche Informationen nicht mehr an die Regierungsvertreter in dem Gremium weiterzugeben. Anlass ist ein Disziplinarverfahren, das gegen einen Polizisten eingeleitet worden war, der sich in einem Brief an den PUA kritisch zum Aufklärungswillen der Behörden im NSU-Komplex geäußert hatte. Das Verfahren hatte einen heftigen Krach zwischen dem NSU-Ausschuss und dem Innenministerium ausgelöst, da nicht-öffentliche Informationen aus dem Ausschuss die Grundlage für die Einleitung des Verfahrens waren. Sie waren über die Ministeriumsbeamte an die Vorgesetzten des Polizisten gelangt.

22. September: Der ehemalige NRW-Innenminister Behrens (SPD) entschuldigt sich als Zeuge vor dem PUA NRW bei den Kölner Opfern der Bombenanschläge. Behrens lieferte auch einen Erklärungsansatz dafür, warum ein möglicher rechtsterroristischer Hintergrund damals aus den Lagemeldungen verschwand: „Um die Ermittlungen nicht einzuschränken, sondern bewusst in alle Richtungen offenzuhalten.“ Er selbst habe dies aber nicht veranlasst.

Eine BKA-Beamtin berichtet vor Gericht von einer Postkarte, auf der ein Elefantenbaby zu sehen ist. Die Karte hatte im September 2005 mutmaßlich Böhnhardt nach Zwickau zu der Adresse geschickt, unter der er, Mundlos und Zschäpe mit falschen Namen lebten. Abgesandt wurde die Karte, versehen mit einem kurzen Gruß, möglicherweise für Zschäpe, aus Dortmund. Offenbar waren Mundlos und Böhnhardt in der Stadt unterwegs, um ein Opfer für einen ihrer Mordanschläge auf Migranten zu suchen. Ebenfalls im September 2005, berichtet die Beamtin, hatte mutmaßlich Mundlos eine Notiz auf eine Tabelle mit sechs Dortmunder Adressen geschrieben. Im April 2006 erschossen Mundlos und Böhnhardt in der Stadt den Türken Mehmet Kubasik in seinem Kiosk. Auch erbrachte der Verhandlungstag u.a. Hinweise, dass der Mitangeklagte André E. dem NSU sehr nahe war. Danach wurde u.a. das Wohnmobil am 25. Oktober 2011 gegen Mittag in Schreibersgrün in Sachsen gemietet. Susann E., die Frau des Angeklagten André E., soll kurz zuvor ihrem Mann eine Kurznachricht (SMS) per Handy ins Krankenhaus geschickt haben. Sie sei mit Liesl und Garry unterwegs.

23. September: 230. Verhandlungstag. Ein Sachverständiger des BKA berichtet, bei einer der im Zwickauer Haus gefunden Waffen seien DNS-Spuren einer unbekannten Person entdeckt worden. Damit wird der schon lang anhaltende Verdacht stärker, die Terrorzelle sei von Komplizen unterstützt worden, die auch heute noch unbehelligt unterwegs sind. An neun Waffen, einer Handgranate und vielen Patronen, die im Brandschutt der Frühlingsstraße und im Wohnmobil lagen, hat der Gutachter DNS von Mundlos und Böhnhardt nachgewiesen. Von Zschäpe hingegen findet sich keine einzige Spur an der Pumpgun, dem Maschinengewehr, den Pistolen und Revolvern. An einem Revolver findet sich die DNS einer bisher unbekannten Person. Auf einer grauen Trainingshose von Mundlos wird Blut von Kiesewetter nachgewiesen. In einer Hosentasche befand sich ein von ihm benutztes Taschentuch. Die Aussagen des Beamten ist Teil der Einführung eines umfangreichen Gutachtens zu Spuren auf Waffen, Kleidung, Stadtplänen, Dokumenten und anderen Gegenständen.

24. September: Im Gutachten des BKA zu DNS-Spuren gibt es weitere Hinweise auf eine enge Verbindung von Zschäpe zur Familie des Angeklagten André E. Aus einem Vortrag des Sachverständigen vor Gericht geht hervor, dass es an einer Figur im Cockpit eines Spielzeughubschraubers die „Anhaftung“ einer Mischspur von Zschäpe und einem der Kinder von André E. gab. Das Spielzeug wurde in dem Haus in Zwickau gefunden. Ihr Verteidiger Stahl bezweifelt allerdings in einer Erklärung den Beweiswert solcher Spuren.

28. September: Der Ende Juli vor Gericht beschlagnahmte Aktenordner aus dem Brandenburger Innenministerium, der im August als geheim eingestuft wurde, wird durch die Landesregierung Brandenburg freigegeben.

29. September: Richter Götzl verkündet am 232. Tag in elf Beschlüssen und einer Verfügung die Ablehnung von Anträgen, die Nebenklage und Verteidiger*innen zum Teil bereits 2013 und 2014 gestellt haben. Mehrfach betont Götzl, eine Beweisaufnahme zu den Fällen, die in den Anträgen genannt werden, sei für das Urteil bedeutungslos. Beweisaufnahme soll nun streng beschränken werden. Alles soll sich nur noch an der Tat- und Schuldfrage von Zschäpe und den anderen Angeklagten orientieren. Die Richter scheinen nach fast zweieinhalb Jahren Prozess genug zu wissen, um sich ein Bild über Schuld oder Unschuld der fünf Angeklagten zu machen. So wird nun auch nicht mehr dem Antrag nachgegangen, einen Dortmunder Rechtsextremisten zu hören, der sich bei der Polizei immerhin zu zwei Mordwaffen des NSU geäußert hatte. Die Anwält*innen wollen dennoch die Ladung des Mannes erzwingen. Auch werden Gegenvorstellungen zu den Entscheidungen und Verfügungen des Gerichts ankündigt.

Götzl gibt bekannt, dass im Fundbüro Köln-Ehrenfeld eine CD mit vertraulichen Aktenstücken aus dem Verfahren gelandet sei. Gefunden auf einem Bürgersteig. In Nachlieferungen an Anwält*innen werden seit Prozessbeginn regelmäßig Dokumente der Ermittlungsbehörden oder Schreiben der Prozessbeteiligten zusammengefasst, digitalisiert und als CD vom Gericht verteilt.

30. September: Ein BKA-Beamter erläutert die Tätowierungen des Angeklagten André E. Dessen Bauch ziert der Spruch „Die Jew Die“ mit Rahmungen von Dienstpistolen der Wehrmacht, einer NS-Parolen in Runenschrift und der Zahl 88, einer Chiffre für „Heil Hitler“. Auf die von Beamern an zwei Wände projizierten Lichtbilder reagiert E. mit  spöttischen Grinsen.

Stand: 11.5.16

weiterlesen: Kapitel 29


Links und Quellen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 26): Juli 2015 – Anhaltende Verteidigerkrise, Abgründe in Baden-Württemberg

#NSU #NSUBlog

1. Juli 2015: Erstmals seit Beginn des Prozesses schließt Richter Götzl am 215. Verhandlungstag auf Antrag Wohllebens die Öffentlichkeit aus. Anlass ist die Aussage des Beamten Reiner G. aus dem Brandenburger Innenministerium, der für den Verfassungsschutz den Spitzel Carsten Sz. (Piatto) geführt hatte. Sz. hatte 1998 einen Hinweis auf drei untergetauchte „sächsische Skinheads“ gegeben, die sich bewaffnen wollten. Der vermummt auftretende Beamte gibt allerdings als Zeuge nur wenig von sich. Er schweigt, beruft sich auf Erinnerungslücken oder verstrickt sich in Widersprüche. Götzl hält ihm vor, es gehöre „zur Pflicht eines Beamten, sich vorzubereiten, sich auseinanderzusetzen und sich Gedanken zu machen“.

2. Juli: Politiker aller Bundestags-Fraktionen beraten über die Möglichkeit eines zweiten PUA. Die Möglichkeiten des Innenausschusses seien erschöpft, da vor allem keine Zeugenbefragung aus dem Geheimdienst-Bereich vorgenommen werden könne. Die Opposition aus Grünen und Linke droht mit einem Alleingang.

3. Juli: Der Bundestag verabschiedet im Nachgang der Empfehlungen des PUA BT 1 eine Verfassungsschutz-Reform. Als Lehre aus dem Ermittlungsdesaster werden die Behörden in Bund und Ländern zu einem intensiveren Informationsaustausch verpflichtet. Das BfV soll mehr Befugnisse bekommen und im Zweifel auch in den Ländern operativ eingreifen dürfen. Für den Einsatz von V-Leuten werden im Gesetz erstmals Regeln und Grenzen festgelegt. Wenn es sich um Menschen mit erheblichen Vorstrafen handele, dürfen sie nur noch als V-Leute eingesetzt werden, wenn es zur Abwehr von besonders gefährlichen Bestrebungen unerlässlich ist, sagte Bundesinnenminister de Maizière. Menschen, die wegen Mordes oder Totschlags verurteilt sind, sind ausgeschlossen. Auch für die Bezahlung soll es Grenzen geben. Geregelt wird außerdem, dass diese Quellen bei „szenetypischen“ Delikten von einer Strafverfolgung verschont werden dürfen.

4. Juli: BfV-Präsident Maaßen stellt Strafanzeige gegen Unbekannt bzw. netzpolitik.org wegen der Weitergabe bzw. Veröffentlichung vertraulicher Informationen. Es gehe um die Veröffentlichungen von Teilen des BfV-Wirtschaftsplans 2013 und 2015 sowie um den Prüfbericht von NSU-Sonderermittlers Jerzey Montag. In ersteren wird deutlich, wie stark der VfS die „Massendatenauswertung von Internetinhalten“ ausbauen will.

6. Juli: Zschäpe wird ein vierter Pflichtverteidiger gewährt. Richter Götzl hat den 31-jährigen Münchner Anwalt Mathias Grasel der Angeklagten beigeordnet. Grasel gibt an, „von einem renommierten Strafverteidiger“ unterstützt zu werden. Einen Namen nennt er nicht. Grasel beantragt, den Prozess für drei Wochen zu unterbrechen, um sich einarbeiten zu können. Götzl gewährt eine Woche und zwei weitere Tage im Juli.

Vor dem PUA BW sagen mehrere Zeugen über die stattgefunden Aktivität des KKK in Schwäbisch Hall aus. Über die geringen Disziplinarmaßnahmen gegen betroffene Polizisten heißt es, es hätte damals u.a. nicht in die breite Ermittelt werden sollen.

7. Juli: Auf Bitte der Beauftragten der Bundesregierung für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer, Barbara John, wird auf die Befragung des Heilbronner Anschlagsopfers und Polizeikollegen Kiesewetters vor dem PUA BW verzichtet.

9. Juli: Nach einer Reihe von Brandanschlägen auf Partei- und Staatsgebäude wird ein Tatverdächtiger in der Nähe des Kanzleramts festgenommen, wo er kurz zuvor einen brennenden Molotowcocktail auf das Dach warf. Er hat Flugblätter der rechtsextremen Gruppierung „Deutsche Widerstandsbewegung“ (DWB) bei sich, die sich zu den Brandanschlägen bekannte. Auch er gesteht die Taten. Vier Tage später wird er leblos in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis Moabit gefunden. Für ein Fremdverschulden gebe es keine Anzeichen.

14. Juli: Eine Zeugin bringt Zschäpe mit einem kleinen Kind in Verbindung. Ein Mädchen soll dabei gewesen, als mutmaßlich Zschäpe und Böhnhardt im Oktober 2011 in einem Verleih das Wohnmobil abholten, in dem Böhnhardt und Mundlos im November in Eisenach starben. Das Kind habe „Mama“ zu der Frau gesagt, hatte die Angestellte der Firma dem BKA erzählt. Im Prozess kann sich die Zeugin kaum noch an Details erinnern.

Am Nachmittag sagt ein Rechtsextremist aus, der mit dem Angeklagten André E. bekannt ist. Der Zeuge gibt an, E. und sein Zwillingsbruder Maik seien in der Szene „der Dumme und der Schlaue“ genannt worden. André E. grinst.

15. Juli: Tag 218. Ein 61-Jähriger berichtet über den vierten Unterschlupf des 1998 untergetauchten Trios, eine Wohnung in der Wolgograder Allee in Chemnitz. Dort habe auch seine Mutter gewohnt. Zschäpe habe er ab und an im Treppenhaus getroffen. Als sich seine Mutter mal bei der Nachbarin über laute Musik und aus dem Fenster geworfene Zigarettenkippen beschwerte, habe Zschäpe sie aggresiv angefahren. Die Angeklagte folgte dem erneuten Vorwurf der Aggressivität mit genervter Miene. Ein früherer Neonazi-Freund versuchte dagegen, Zschäpe in Schutz zu nehmen – mit einem der bisher dreistesten Auftritte. Marco B., früherer THS-Kader, erschien vor Gericht im Anzug, mit Krawatte und schnittig gegeltem Seitenscheitel. Zschäpe habe sich damals in der rechten Szene „nicht nach oben hervorgetan“, behauptete er. Es kommt zu harten Wortgefechten mit dem Richter.

Die Bild-Zeitung veröffentlicht Angaben zum Youtube-Konto Zschäpes. Die Daten wurden den deutschen Behörden nun doch noch übermittelt, obwohl amerikanische Behörden bereits im September 2012 auf ein Rechtshilfegesuchen mitteilten, dass es keine Daten mehr zum Konto gäbe. Die angesehenen Videos waren überwiegend rechten Inhalts.

17. Juli: Der ehemalige LfVBW-Präsident Rannacher erklärt vor dem PUA BW, dass seine Behörde im KKK-Fall versagt hat. „Auch hier in Baden-Württemberg hat unser austariertes, wenn auch zwangsläufig lückenhaftes Netz von operativen Maßnahmen versagt“. Unter anderem sagt auch der Politikwissenschaftler Hajo Funke aus, der als Vertrauensmann der Familie von Florian H. auftritt. Der unter Zeitdruck stehende PUA wirft ihm vor, Beweismittel zu lange auszuwerten. Ihm wird deshalb unterstellt, er wolle nur für sein jüngstes Buch werben.

20. Juli: Zschäpes Verteidiger Heer, Stahl und Sturm stellen einen Antrag auf Entpflichtung, nennen aber kaum Gründe und verweisen auf die Verschwiegenheitspflicht. Im Falle der Entpflichtung müsste der Prozess wohl neu begonnen werden. Der Senat lehnt den Antrag ab. Die drei Anwälte betonen jedoch, sie sähen sich auch weiterhin außerstande, ihre Mandantin zu verteidigen.

Der PUA BW gibt bekannt, dass im Falle des toten Florian H. neun Zeugen existieren, die der Polizei bekannt waren, jedoch bisher nicht der Staatsanwaltschaft oder dem PUA genannt wurden.

21. Juli: Zschäpe verlangt am 220. Verhandlungstag in einem Antrag die Ablösung von Verteidiger Heer. Außerdem setzt sie durch, dass sich ihre alten Anwälte umsetzen müssen. Der neue Verteidiger nimmt den Platz von Heer ein und sitzt nun am nächsten zum Richtertisch. Grasel stellt jedoch keine Frage, als eine Beamtin des BKA Zschäpe belastet. Auf dem Umschlag einer der Bekenner-DVDs des NSU, die im November 2011 verschickt wurden, fanden sich Fingerabdrücke von Zschäpe.

24. Juli: Der damalige Ermittlungsführer im Fall Kiesewetter, Meyer-Manoras, verteidigt das Vorgehen, damals die Phantombilder nicht zu veröffentlichen und das  damals unbekannte Email-Konto Kiesewetters genauer zu überprüfen. Er bezeichnete die Morde als „Bilanzterrorismus“. Die Mitglieder hätten aus seiner Sicht von vornherein geplant, so lange wie möglich Taten zu begehen und sich dann umzubringen, um „ihre Bilanz der Öffentlichkeit zu präsentieren und möglichst großen Schrecken zu verbreiten“.

Zschäpe stellt Strafanzeige gegen die drei alten Anwälte. Sie sollen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht verletzt haben. Sie fordert nun auch die Entlassung aller drei. Das Verfahren scheint in einer Zwickmühle zu stecken da die Verteidigung der Angeklagten nicht gut gewährleistet ist. Doch Götzl führt den Prozess fort, als wäre nichts geschehen. Er scheint überzeugt, dass der vierte Pflichtverteidiger ausreicht um einen Neuanfang des Prozesses sowie Revisionsgründe zu verhindern. Eine Entscheidung über den Antrag steht aus.

26. Juli: Die Bundestagsabgeordneten Mihalic (Grüne), Pau (Linke), Högl (SPD) und Binninger (CDU) fordern gemeinsam einen zweiten PUA. „Wir wollen das Behördenhandeln an vielen Stellen noch mal hinterfragen. Und wir wollen das Umfeld des NSU ganz anders durchleuchten“, erklärt Mihalic. Anders als im ersten PUA sollen nun auch V-Leute geladen werden.

27. Juli: Die Bundesregierung gibt (in Drucksache 18/5516) bekannt, dass Ermittlungsbehörden im Rahmen eines sogenannten Strukturermittlungsverfahrens zum NSU bisher 112 Zeugen vernommen haben. Darunter waren auch drei V-Personen des BfV und der VfS-Ämter Hamburg und Thüringen. Zudem wurden drei V-Personenführer des BfV als Zeugen vernommen, und drei Durchsuchungen in Paderborn (25. April 2014), Bielefeld (30. April 2014) und Lübben (5. Februar 2015) vorgenommen. Laut Auskunft der Bundesregierung gibt es keine Ermittlungen gegen Beamte des BfV.

28. Juli: Zschäpe lässt vor Beginn des 221. Verhandlungstages ein handgeschriebenes Blatt verteilen. Es geht darum, ob sie reden wird oder nicht. Und ob sie nicht reden will oder nicht reden darf. Ihre Verteidiger hatten in Gesprächen mit Richter Götzl erklärt, sie hätten Zschäpe nicht zum Schweigen verpflichtet. Als Götzl dies öffentlich berichtete, stellt Zschäpe die Anzeige wegen Geheimnisverrats gegen die Verteidiger.

Das Verfahren setzt die Untersuchung von weiteren Scheinidentitäten des Trios fort.

29. Juli:  Die Staatsanwaltschaft München lehnt es ab, aufgrund der Anzeige vom Vortag gegen Zschäpes Verteidiger zu ermitteln. Es seien keine Straftat zu erkennen.

Tag 222. Der bereits am 1. Juli 2015 erschienene Beamte Reiner G. aus Brandenburg tritt erneut vermummt vor Gericht auf. Nebenklagevertreter Thomas Bliwier bewirkt während der Verhandlung, dass der Zeuge seinen Aktenordner dem Gericht aushändigt. Sobald geklärt ist, ob dieser verwertet werden darf, wird G. erneut vorgeladen.

Die Staatsanwaltschaft Kassel gibt bekannt, ein Ermittlungsverfahren gegen zwei aus rechtsextremen Kreisen stammenden Männer, die mit Schusswaffen gehandelt haben sollen, eingeleitet zu haben. Beide Beschuldigte wurden nach vorläufiger Festnahme wieder entlassen. Sie stammen aus Hessen und Bayern. Michel F. galt lange Zeit als zentrale Figur der Kasseler Neonazi-Szene, von „Sturm 18“ und Rechtsrock aus Dortmund. F. hatte zudem in einem Verhör behauptet, Mundlos und Böhnhardt 2006 bei einem Konzert der Band „Oidoxie“ in Kassel gesehen zu haben. Das Konzert fand kurz vor der Ermordung von Halit Yozgat statt.

Stand: 11.5.16

weiterlesen: Kapitel 27


Links und Quellen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 25): Mai/Juni 2015 – Überfälle, Behördensumpf und Verteidigerkrise vor Gericht

#NSU #NSUBlog

4. Mai 2015: Der PUA BW besucht in Begleitung des ehemaligen Leiters der Heilbronner Sonderkommission, Axel Mögelin, den Tatort Kiesewetters. Erneut stellen sich die zahlreichen Zeugenaussagen und Tathergangstheorien als uneinheitlich und problematisch dar.

5. Mai: In Genf weisen Vertreter der Bundesregierung den Vereinten Nationen und NGOs in einer regulären Sitzung zur UN-Antirassismuskonvention aktuelle Maßnahmen auf. Die Sitzung stellt erneut fest, dass es in Deutschland strukturelle Probleme gibt, Rassismus zu erkennen und zu bearbeiten. Q1

6. Mai: Am zweiten Jahrestag des Prozessbeginns werden bei Razzien in Sachsen, NRW, Bayern, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern zehn Gebäude durchsucht. Vier mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremen „Oldschool Society“ (OSS) werden verhaftet. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt sie, Attentate auf Salafisten, Moscheen und Flüchtlingsheime über das Internet geplant zu haben. Unter anderem werden im sächsischen Borna fertige Sprengsätze gefunden. Bundesinnenminister De Maizière spricht in diesem Zusammenhang von der erfolgreich verbesserten Kooperation aller Sicherheitsbehörden.

11. Mai: Im PUA Hessen sagen Andreas T. und der ehemalige LfVHE-Geheimschutzbeauftragte zu ihrem von den Polizei abgehörten Telefonat aus. Im unmittelbar nach dem Mord stattgefundenen Gespräch wurde T. gesagt: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren“. Der Geheimschutzbeauftragte weist jegliche Schuld und Mitwissen von sich. Der Satz sei ironisch gemeint gewesen. Auch die Bundesanwaltschaft hält eine Verstrickung T.s nicht für möglich. T. sagte früher bereits im Gerichtsverfahren aus. Neu an dieser Sitzung des PUA war die Auswertung von insgesamt 2000 überwachten Telefonaten T.s.

Am 203. Verhandlungstag schildern Zeugen den mutmaßlich ersten Raubüberfall des NSU. Mundlos und Böhnhardt erbeuteten am 18. Dezember 1998 in einer Edeka-Filiale in Chemnitz 30.000 D-Mark. Einer Mitarbeiterin wurde im Eingangsbereich eine Tasche mit dem Geld entrissen, das die Frau gerade bei den Kassen eingesammelt hatte. Auf der Flucht schossen die Neonazis auf einen Jugendlichen, der sie verfolgte. Eine Zeugin berichtet von Einschusslöchern in der Außenwand des Supermarkts.

12. Mai: Ein Zeuge schildert vor Gericht, wie Zschäpe in Jena einen Mann mit einem Glas attackiert und verletzt haben soll. Zum wiederholten Male wird der Angeklagten im Prozess Gewalttätigkeit vorgeworfen. Zschäpe fällt das Schweigen dabei offensichtlich schwer.

13. Mai: Konstituierende Sitzung des PUA Sachsen 2.

14. Mai: Zeuginnen berichten vom brutalen Überfall, den Mundlos und Böhnhardt am 23. September 2003 auf eine Filiale der Sparkasse in Chemnitz verübten. Einer der beiden schlug seine Waffe einer Angestellten auf den Kopf. Dennoch verhinderte die Frau, dass der Tresor geöffnet wurde. Mundlos und Böhnhardt flüchteten mit lediglich 435 Euro.

19. Mai: Der Konflikt zwischen Zschäpes Verteidigern und dem psychiatrischen Gutachter Henning Saß eskaliert. Die Anwälte und Zschäpe fühlen sich von Saß, der im Auftrag des Gerichts die Angeklagte zu beobachten hat, belauscht. Den Antrag der Verteidiger, Saß teilweise aus dem Prozess herauszuhalten, weist der Strafsenat jedoch ab.

20. Mai: Marcel D., Ende der 90er Jahre B&H-Chef, will kein V-Mann für das TLfV gewesen sein. Das bestreitet er am 207. Tag des Prozesses erneut. Die Aussage ist offenkundig falsch – und empört Anwälte der Nebenklage derart, dass sie von Aussageverweigerung sprechen und Zwangsmittel bis hin zur Ordnungshaft beantragen. Richter und GBA reagieren scharf. Sie halten den Antrag für einen rechtlich verkehrten und bedenklichen Versuch, eine wunschgemäße Aussage zu erzwingen. Bundesanwalt Diemer erwähnt sogar das Folterverbot der Menschenrechtskonvention. Der Strafsenat lehnt den Antrag auf Zwangsmittel ab. Daraufhin stellt kein einziger Anwalt der Nebenklage dem Zeugen noch eine Frage. D. muss mit einem Verfahren wegen Falschaussage rechnen. Laut Akten hatte D. unter dem Decknamen „Hagel“ Informationen zu Zschäpe, Mundlos und Bönhardt an die Behörde weitergeleitet. D. erkundigte sich im November 1999 bei einem anderen Neonazi nach dem untergetauchten Trio und bat eine Geldspende für die drei an. Die Antwort sei gewesen: Die drei würden kein Geld mehr benötigen, weil sie mittlerweile „jobben würden“. Ermittler werten dies als Hinweis auf den Beginn einer Serie von Raubüberfällen, die dem NSU zugeschrieben werden.

21. Mai: Grünen-Fraktionschefin Sitzmann geht von einer Fortsetzung des PUA BW nach der Landtagswahl 2016 aus.

Anreas T. wird zum fünften mal vom OLG München vorgeladen. Verhandlungstermin 21. Juni. Zum ersten Mal soll nun auch die Ehefrau von T. vor Gericht aussagen. Sie soll erklären, was sie über eine schwere Plastiktüte wusste, die ihr Mann angeblich am Tatort dabei hatte. Die Plastiktüte ist deswegen so interessant, weil die Täter des NSU ihre Pistole oft in einer Plastiktüte mitbrachten und durch sie hindurch schossen. Dadurch wurden auch die Patronenhülsen aufgefangen. Die Frau des Verfassungsschützers soll nun am 25. Juni aussagen.

22. Mai: Als Gründe für die nicht entdeckten Zusammenhänge nennt der ehemalige Leiter der Sonderkommission „Parkplatz“, Frank Huber, vor dem PUA BW, dass unterschiedliche Waffen bei den Schüssen auf Kiesewetter und ihren Kollegen und den neun Morden an Migranten benutzt worden waren. Überdies seien völlig unterschiedliche Opfergruppen  betroffen gewesen. Aus diesen Gründen sei auch einem Hinweis von Kiesewetters Onkel, damals bei der thüringischen Polizei tätig, auf eine Verbindung des Heilbronner Falls zu den Morden an den Migranten nicht nachgegangen worden. Für einen politisch motivierten Anschlag habe das Bekennerschreiben gefehlt. Auch Gespräche mit dem polizeilichen Staatsschutz, dem VfS und dem BND hätten keine Erkenntnisse ergeben. Dem hielt der SPD-Abgeordnete Sakellariou entgegen, dass es geradezu typisch sei für rechtsextremistisch motivierte Straftaten, dass die Täter keine Bekennerschreiben verfassen. Axel Mögelin, Leiter der Soko ab September 2009 präsentiert ferner ein Photo von Böhnhardt mit Fahrrad in der Stuttgarter Innenstadt im Juni 2003. Es wird als möglicher Ausspähversuch einer Straße mit zahlreichen von Migranten geführten Geschäften gewertet. Bei den Ermittlungen seien zwei Stadtpläne von Stuttgart mit Markierungen sowie Pläne von Heilbronn und Ludwigsburg entdeckt worden, erläuterte Mögelin.

25. Mai: Vertreter der Nebenklage geben bekannt, Beweisanträge zum Thema Germanenkult/germanische Mystik im Zusammenhang mit möglichen Tatmotiven vorzubereiten. Zschäpe sei laut Aussage von Zeugen Kennerin germanischer Bräuche, auch habe das Trio entsprechende Publikationen gelesen und unterstützt. Sechs der zehn Anschläge seien an einem Mittwoch verübt worden. Der Tag besitzt im germanischen Kult eine besondere Bedeutung wegen dem Gott Wotan.

1. Juni 2015: Die Humanistische Union Deutschlands startet eine Kampagne zur Verhinderung der erweiterten Straffreiheit für V-Personen. Im Zuge der Verfassungsschutz-Reform, die am 3.7.15 vom Bundestag beschlossen werden soll, sollen Fälle der Strafverfolgung entzogen werden können, die ähnlich auch im NSU-Netzwerk vorkamen. Der Gesetzentwurf wird dennoch so verabschiedet.

4. Juni: Vor dem PUA TH 2 sprechen erstmals Feuerwehrleute, die am 4.11.11 das brennende Wohnmobil in Eisenach löschten. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Eisenach wurden nach Aussage von der Polizei angewiesen, nicht ausreichend zu löschen, damit etwaige Spuren am Tatort nicht verwischt werden. Der damalige Einsatzleiter der Eisenacher Berufsfeuerwehr sprach u.a. in seiner Befragung auch von einem Streit mit der Polizei, in dem es um die Beschlagnahmung von Fotos aus dem Inneren des Wohnmobils ging. Bei der einzigen Begehung des Wohnmobils durch die Feuerwehr wurden Aufnahmen gemacht, die, anders als die offiziellen Aufnahmen aus den Ermittlungsakten, welche erst nach dem Abtransport gemacht wurden, weniger Brandschutt auf den Leichen, andere Position der Leichen und keine Waffen zeigen sollen. Erstmals wird auch Videomaterial eines Kamerateams ausgewertet.

8. Juni: Der ehemalige Sicherheitschef des KKK bestätigt dem PUA BW die frühere Existenz und Aktivität der Organisation.

9. Juni: Am 10. Jahrestag der Ermordung von Ismail Yaşar in Nürnberg beteiligen sich rund 300 Menschen in der Scharrerstraße an einer Zeremonie. Beim Tatort wird ein Gedenkstein in den Gehweg eingelassen.

Die Aussage eines BKA-Beamten stärkt am 208. Verhandlungstag den Verdacht, der NSU habe mehr Waffen gehabt als die 20, die von der Polizei nach dem Ende der Terrorzelle sichergestellt wurden. Der Experte spricht von untersuchter Munition, die drei unbekannten Waffen zuzuordnen ist.

In einer Pressemitteilung über das Ergebnis der Obduktion von Melisa M. gibt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bekannt, dass „die Lungenembolie ihre Ursache in der unfallbedingten Knieverletzung der Frau gehabt haben dürfte.“ Im Gutachten der Heidelberger Rechtsmedizin lautet die Formulierung: die Blutgerinnsel in der Lunge seien „höchstwahrscheinlich“ durch den Sturz auf das Knie zustande gekommen. Die Rechtsmedizin in Heidelberg wollte sich nicht äußern.

10. Juni: Zschäpe will Verteidigerin Sturm entlassen und stellt einen handgeschriebenen Entbindungsantrag. Zschäpe wirft in der internen Begründung Sturm vor, unvorbereitet im Gericht zu erscheinen, bei Besprechungen psychischen Druck auf sie auszuüben und nur mangelhaft mit den anderen beiden Verteidigern zu kooperieren. Dadurch ergebe sich ein unsicheres Befragen von Zeugen und ein mangelndes Vertrauensverhältnis. Eine weitere Zusammenarbeit sei unzumutbar, schreibt sie. Außerdem gibt Zschäpe an, sie wäre bereits „etwas zu sagen“. Der Verhandlungstag wird daraufhin zur Prüfung der Begründung abgebrochen. Sturm weist in den Folgetagen schriftlich die Vorwürfe zurück. Ebenso Heer und Stahl. Stahl schreibt an den Senat: „Die Behauptungen von Frau Zschäpe sind für mich nicht nachvollziehbar.“ Heer ist etwas deutlicher. Beiden Anwälten sind die von Zschäpe angeführten angeblichen Differenzen mit Sturm offenbar nicht aufgefallen, trotz ständiger interner Kommunikation bezüglich der Verteidigung, wie sie beteuern. Es würde nicht verwundern, wenn Zschäpe nun auch sie erneut zu entpflichten versuchte.

14. Juni: Die „Welt am Sonntag“ berichtet, dass der VsNRW 2012 eine Ähnlichkeit des Täterphantoms des Kölner Sprengstoffanschlags von 2001 zu einem eigenen V-Mann feststellte. Es soll sich dabei um den Kölner Neonazi Johannes H. handeln.

16. Juni: Eisiges Verhalten Zschäpes gegenüber ihren Anwälten am Verhandlungstag nach ihrem zweiten Misstrauensantrag. Verteidiger Stahl bringt dennoch mit Fragen einen Zeugen des BKA in Bedrängnis.

Im PUA HE hält die Regierungsmehrheit die Befragungsmöglichkeiten möglichst gering. Hartfrid Wolff, ehemaliger Obmann der FDP im PUA BT, warnt u.a. vor einer „rechtsextremen Internationalen“.

17. Juni: Zwei ehemalige und ein aktiver Verfassungsschützer aus Hessen äußern sich vor Gericht fürsorglich über ihren früheren Kollegen Temme. Es werden abgehörte Telefonate vorgespielt, die die drei jeweils einzeln nach dem Mord mit Temme führten. In der Befragung streiten alle drei Täterwissen oder Vertuschung ab.

Zschäpe wird während einer Telefonatwiedergabe von Götzel gefragt, ob sie noch „bei der Sache“ sei. Sie antwortet laut: „Ja“ – es ist ihr erstes eigenständig gesprochenes Wort während einer Verhandlung.

21. Juni: In einem Spiegel-Interview bestreitet der V-Mann Johannes H. an dem Kölner Anschlag beteiligt gewesen zu sein. Er sei auch nie Neonazi gewesen. Beim VfS sei er bis Anfang 2015 tätig gewesen.

23. Juni: Die TU Chemnitz verbietet die Wanderausstellung über die Opfer des NSU mit der Begründung, sie sei nicht wissenschaftlich fundiert und man könne nicht verhindern, dass Neonazis kämen. Das Trio lebte längere Zeit in Chemnitz.

Ein Gerichtszeuge berichtet von drei Tätern beim Überfall auf einen Supermarkt in Chemnitz im Dezember 1998. Die Bundesanwaltschaft nennt nur Mundlos und Böhnhardt als Räuber. Die dritte Person könnte allerdings auch Zschäpe gewesen sein. Das wäre allerdings ebenfalls neu. In der Anklage der Bundesanwaltschaft wird Zschäpe bei keinem Verbrechen der Terrorzelle vorgehalten, am Tatort mitgewirkt zu haben.

24. Juni: Gerald H., ehemaliger Geheimschutzbeauftragter des hessischen Verfassungsschutzes, weist Vermutungen zurück, er habe 2006 erfahren, dass sein Kollege Temme schon vor dem Mord an Yozgat in Kassel von der bevorstehenden Tat wusste. Am 9. Mai 2006, einen Monat nach dem Attentat, hatte Gerald H. in einem von der Polizei abgehörten Telefonat mit Andreas T. geäußert, „ich sage jedem Mitarbeiter, wenn der weiß, dass sowas passiert: nicht vorbeifahren“. Als das Gespräch Anfang 2015 bekannt wurde, gab es Aufregung. Es schien sich der Verdacht zu bestätigen, Andreas T. habe sich in Kenntnis des zu erwartenden Mordes am Tattag und vermutlich auch zur Tatzeit in Yozgats Internetcafé aufgehalten. Gerald H. sagt nun, die Äußerung sei in dem Telefonat „eine etwas ironische Eröffnungsklausel“ gewesen.

Am Rande der Verhandlung wird bekannt, dass die Bundesanwaltschaft im Januar 2015 die Ermittlungen zu dem mutmaßlich vom NSU im Juni 1999 verübten Sprengstoffanschlag in einem türkischen Lokal in Nürnberg eingestellt hat. Aus Sicht der Behörde würde die Tat bei einer Verurteilung von Angeklagten im NSU-Prozess angesichts noch härterer Verbrechen nicht ins Gewicht fallen.

26. Juni: Das Gericht lehnt auch Zschäpes zweiten Mistrauensantrag ab. „Konkrete, hinreichende und nachgewiesene Anhaltspunkte dafür, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Angeklagten und der bestellten Pflichtverteidigerin so nachhaltig gestört ist, dass (…) die sachgerechte Ausübung des Mandats unmöglich ist“, gebe es nicht.

28. Juni: Der Tagesspielgel berichtet, dass der Münchner Anwalt Mathias Grasel und sein Kollege Hermann Borchert bereits in längerem Kontakt zu Zschäpe und Götzl stehen. Der neuerlich gescheiterte Misstrauensantrag kann dazu führen, dass Grasel als vierter Pflichtverteidiger bestellt werden könnte.

29. Juni: Das Brandenburgische Innenministerium gibt bekannt, es habe aufgrund einer Studie des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) deutlich mehr Fällen rechter Gewalt entdeckt als bisher bekannt. Die Polizei in Brandenburg soll deshalb  künftig bei Straftaten von Anfang an prüfen, ob ein politisches Motiv vorliegt. „Dazu haben wir eine Taschenkarte für alle Beamten, die operativ tätig sind, also Einsätze fahren und Kontakt zum Bürger haben“, erläuterte Polizeipräsident Mörke.

30. Juni: Ein von der Polizei mitgeschnittenes Telefonat der Ehefrau des früheren Verfassungsschützers Andreas T. schockt den Gerichtssaal. Das Gespräch vom 19. April 2006 wird abgespielt und es ist deutlich zu hören, dass Eva S.-T. das Kasseler Internetcafé des zwei Wochen zuvor dort erschossenen Yozgat eine „Asselbude“ nennt – und das Opfer einen „Dreckstürken“. Nachdem die letzten Worte verklungen sind, gibt sich die Frau erschrocken und bekennt, „ich bin nicht stolz darauf, dass ich mich so scheußlich geäußert hab‘ über türkische Menschen“. Zur Aufklärung über die mysteriöse Rolle ihres Mannes bei dem Anschlag auf Yozgat trägt Eva S.-T. nichts bei. Yozgats Eltern sind eigens aus der Türkei angereist.

Verteidiger Grasel tritt erstmals im Prozess auf, als Stellvertreter für den abwesenden Stahl. Zschäpe beantragt eine Verfahrensunterbrechung, damit sich Grasel einarbeiten könne. Der Antrag wird abgelehnt.

Bundesinnenminister de Maizière und Hans-Georg Maaßen stellen den jährlichen Verfassungsschutz-Bericht vor. Im Fokus steht ein zunehmender Rechtsextremismus der ähnlich wie Anfang der 1990er-Jahre sprunghaft angestiegen sei. Vor allem seien Asylunterkünfte betroffen.

Stand: 9.5.16

weiterlesen: Kapitel 26


Links und Quellen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 24): April 2015 – Neonazi-Aussagen / Polizeiskandal in Baden-Württemberg

Chronik der Aufklärung (Kapitel 24): April 2015 – Neonazi-Aussagen / Polizeiskandal in Baden-Württemberg

#NSU #NSUBlog

4. April 2015: Über 150 Menschen nahmen an einer Kundgebung zum Gedenken an Mehmet Kubasik, der 2006 vor neun Jahren in Dortmund umgebracht worden ist, teil. Mehrere Migrantenorganisationen hatten dazu aufgerufen, auch Vertreter der Kölner Vereinigung „Keupstrasse ist überall“ waren gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Der Demonstrationszug startete an dem ehemaligen Kiosk der Familie Kubasik und endete an dem Mahnmal der NSU-Opfer. Dort wurde  von der Tochter des Ermordeten, Gamze Kubasik, ein Kranz niedergelegt.

5. April: Der SPD-Vorsitzende Gabriel ist überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungen gegen den NSU geholfen hätte. Angesichts der Vielzahl durch Behörden vernichteter Akten und Informationen ist ein Ausweiten der Informationssammlung überflüssig, so netzpolitik.org. Die Polizei erhielt und rasterte bereits 32 Millionen Vorratsdaten erfolglos. Q1

6. April: Am neunten Jahrestag der tödlichen Schüsse auf Halit Yozgat in Kassel findet eine offizielle Gedenkstunde auf dem Halitplatz, der nach Yozgat benannt ist, statt. Es sprechen unter anderem der Oberbürgermeister Hilgen (SPD) und der türkische Generalkonsul.

Künstler, Autoren, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern in einer gemeinsamen Erklärung zum NSU-VS-Skandal die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes sowie Konsequenzen für verwickelte Politiker. Q1

7. April: Unter dem Motto „Schluß mit der Vertuschung – Gerechtigkeit für Halit Yozgat“ verleiht die Interventionistische Linke ihrer Erklärung vom Vortag mit einer Kundgebung vor der Hessischen Landesvertretung in Berlin Nachdruck.

14. April: Der 197. Verhandlungstag beschäftigt sich überwiegend mit den Banküberfällen in Stralsund am 7. November 2006 und am 18. Januar 2007. Der Angeklagte Holger G. fehlt am Morgen und wird zur Anreise aus Niedersachsen gezwungen.

16. April: Bei bundesweiten Razzien in der rechten Szene werden mehrere Hundert CDs eines rechtsextremen Liedermachers aus Zwickau beschlagnahmt. Es besteht der Verdacht der Verherrlichung des NSU.

19. April: Die Bundesanwaltschaft gibt bekannt, dass weitere Ermittlungsverfahren gegen neun der Öffentlichkeit bisher Unbekannte mutmaßliche NSU-Unterstützter laufen.

20. April: „Matze“, 21 jährig, verwickelt sich als Zeuge vor dem PUA BW in Widersprüche und muss vorherige Aussagen vor der Polizei korrigieren. Seine Behauptung, es gebe eine gefährliche rechtsextreme Organisation namens Neoschutzstaffel (NSS) wirkt unglaubwürdig. Stattdessen existierten wohl in BW nur lose Gruppen von rechtsorientierten Jugendlichen, die sich in Heilbronner Kneipen und Parks zum Saufen treffen. Es waren, so beschrieb es ein anderer Zeuge, auch ein paar Punks dabei, man hörte Musik von Metallica bis zur Rechtsrockband Landser. Zur Gruppe, die sich nach ihrem Treffpunkt beim Heilbronner Kongresszentrum „Harmonie“ nannte, gehörte neben „Matze“ auch Florian H. – jener junge Neonazi, der im Herbst 2013 in Stuttgart in einem brennenden Auto gestorben war. Q1

22. April: Der Präsident des LfVSN, Gordian Meyer-Plath, lobt vor Gericht die Zusammenarbeit mit dem früheren V-Mann Carsten Sz. Sz. hatte von 1994 bis 2000 für den VsBR in der rechten Szene gespitzelt. Mit dem Decknamen „Piatto“ berichtete er 1998 von „drei untergetauchten sächsischen Skinheads“, damit waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeint. Sz. gab auch an, der sächsische Rechtsextremist Jan W. wolle Waffen für die drei besorgen.

Der PUA TH 2 konstituiert sich. Ausschussmitglied und AfD-Fraktionsvorsitzender Bernd Höcke erscheint nicht. Es mehren sich Bedenken, dass die AfD geheime Informationen in die rechte Szene weiterleiten könnte oder die Untersuchungen behindern könnte.Q1

SPD und Grüne fordern im Bayerischen Landtag die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung der NSU-Mordserie. Die CSU-Mehrheit lehnt den Vorschlag ab. Arbeitskreise und Ausschüsse des Parlaments seien immerhin mit dem Thema befasst.

23. April: 200. Verhandlungstag. Ein geladener Zeuge aus der rechtsextremen Szene erscheint nicht vor Gericht. Eine weitere Szenezeugin erinnert sich an fast nichts.

Anwälte der Nebenkläger erheben umfangreiche Vorwürfe gegenüber Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft. Sie sollen die Aufklärung im NSU-Komplex massiv behindern. Q1

27. April: Der Sächsische Landtag beschließt den PUA Sachsen 2. „Die Aufklärung ist nicht abgeschlossen, die Fragen werden eher immer mehr“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann.

28. April: Joachim Stamp (FDP), Mitglied im PUA NRW, präsentierst eine Karte, auf der die verbundenen NSU-Tatorte das NSU-Symbol ergeben: „Wenn man die Tatorte miteinander verbindet, dann ergibt sich auf der Karte ein fast vollständiges NSU-Logo, das im Bekennervideo zu sehen ist. Es fehlt nur eine einzige Markierung, die zwischen Magdeburg und Berlin liegen würde.“ Die Theorie der „Deutschlandtour“, und somit ein nicht willkürliches Vorgehen, scheint dadurch bekräftigt.

Ein Skinhead provoziert vor Gericht mit der auf sein Gesicht tätowierten Parole „Blut und Ehre“. Die Polizei fotografiert den Zeugen, er muss mit einem Verfahren rechnen. Es ist strafbar, öffentlich Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu zeigen. „Blut und Ehre“ war ein Leitmotiv der Hitlerjugend. Als weiterer Zeuge tritt Stephan L. auf, der ehemalige Anführer der „Deutschland-Division“ der internationalen Skinhead-Vereinigung Blood & Honour. L. schwärmt von der Zeit vor dem Verbot der Deutschland-Division.

29. April: Ein ehemaliger Neonazi belastet überraschend Zschäpe, Wohlleben und sich selbst. Der Zeuge sagt, er sei im April 1996 mit Zschäpe, Wohlleben, Mundlos und Böhnhardt bei einer Straftat dabei gewesen. An einer Autobahnbrücke nahe Jena wurde ein Puppentorso aufgehängt, der als „Jude“ gekennzeichnet und mit einer Bombenattrappe verbunden war.

30. April: Ein 17-seitiges vertrauliches Gutachten von Psychiater Norbert Nedopil über Zschäpe wird dem Gericht übergeben. Sie hat offenbar ganz offen mit ihm geredet. Offensichtlich ist der Leidensdruck bei Zschäpe mittlerweile so groß, dass sie eine Aussage oder Änderung ihrer Verteidigungsstrategie möglicher wird.

Deutschlandtour

(Quelle: welt.de)

Stand: 9.5.16

weiterlesen: Kapitel 25


Links und Quellen

Chronik der Aufklärung (Kapitel 23): März 2015 – „Dem Verfolgungsversagen darf kein Aufklärungsversagen folgen”

#NSU #NSUBlog

2. März 2015: Im PUA BaWü machen die Angehörigen von Florian H., der sich im September 2013 in Stuttgart mutmaßlich selbst verbrannt haben soll, der Polizei und den Behörden schwere Vorwürfe. Das Opfer war aus der rechten Szene ausgestiegen und soll gewusst haben, wer 2007 Kiesewetter erschoss. Er uns seine Familie seien massiv von Rechtsextremen bedroht worden, erklärte der Vater dem Ausschuss. Dieser ist überzeugt, dass sein Sohn sich nicht selbst verbrannte, denn er habe panische Angst vor Feuer gehabt.

Befragt wird in nicht-öffentlicher Sitzung auch ehemalige Freundin Florian H.s, Melisa M.

3. März: Vor dem Münchner Justizzentrum, in dem der NSU-Prozess stattfindet, demonstrieren am Dienstagmorgen etwa ein Dutzend Neonazis für die Freilassung des Angeklagten Ralf Wohlleben. Der Protest der 100 Gegendemonstranten ist so laut, dass von den Reden der Rechten kaum etwas zu verstehen ist.

4. März: SPD-Parteivize Schäfer-Gümbel fordert eine Fortsetzung des PUA Bundestag: „Dem Verfolgungsversagen darf kein Aufklärungsversagen folgen”. Wie im derzeit laufenden PUA Hessen zu sehen sei, gebe es noch zahlreiche Ungereimtheiten rund um den Kasseler NSU-Mord im Jahr 2006. Der hessische Ministerpräsident und damalige Innenminister Volker Bouffier (CDU) habe zudem persönlich das Geheimschutzinteresse über die Mordermittlungen gestellt, was Verschleierung bedeuten könnte.

Da Zschäpe in der vergangenen Woche erneut krank wurde, lässt Götzl vorläufig nur noch an zwei statt an drei Tagen verhandeln. Auf Antrag Zschäpes hat das Gericht auch die Bild-Regelung deutlich eingeschränkt. So dürfen Bildberichterstatter nur noch am ersten und siebten Prozesstag jedes Monats im Gerichtssaal fotografieren. Zur Begründung verwies das Gericht am Dienstag auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angeklagten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte diese Entscheidung. Der Richter will Zschäpe verhandlungsfähig halten.

Ein ehemaliger Rechtsextremist aus Jena sagt, er habe den Bau von Bomben für den falschen Weg gehalten, aber aus „Kadavergehorsam“ nicht verurteilt.

9. März: Laut „Südwest Presse“ hatte ein Polizeibeamter, der sowohl in den Ermittlungen zum Tode Kiesewetters und ihres Kollegens in Heilbronn sowie dem vermeintlichen Suizid in Stuttgart beteiligt war, 2001 – also sechs Jahre vor dem Heilbronner Mord – einen Kontakt zwischen einem Polizeikollegen und dem KKK-Ableger in Schwäbisch Hall hergestellt. Sein Bruder habe innerhalb des Geheimbundes zudem eine höhere Stellung eingenommen. Bekannt ist seit längerem, dass zwei Polizisten aus Baden-Württemberg Mitglieder im Ku-Klux-Klan waren – einer davon war Kiesewetters Gruppenführer.

11. März: Als letztes Bundesland führt Baden-Württemberg ein eigenständiges parlamentarisches Kontrollgremium für den Geheimdienst ein, das beschloss der Landtag einstimmig. Außerdem soll ein eigenes Gesetz zum V-Mann-Einsatz erarbeitet werden. Die von der grün-roten Landesregierung versprochene Reform des Verfassungsschutzamtes wird dadurch erstmal auf eine mögliche weiter Legislaturperiode nach 2016 verschoben.

Ein früherer Aktivist von Blood & Honour bestreitet vor Gericht, für den Verfassungsschutz gespitzelt zu haben – obwohl ihm die Behörde eine Aussagegenehmigung erteilt hat. Offenbar will er nicht als Verräter gelten. Ein Verfahren gegen ihn wegen Falschaussage ist möglich.

12. März: Ein weiteres Opfer berichtet am 192. Verhandlungstag vom Anschlag in der Kölner Keupstraße.

Ein früherer Freund von Mundlos erzählt, dieser habe sich zu DDR-Zeiten für die Rote Armee Fraktion interessiert und „wie man untertaucht“.

16. März: Torsten O., Deckname „Erbse“, Ende der 1980er-Jahre Mitarbeiter des LfVBW wird vor den PUA BaWü geladen. Nach früherer Aussage des LfVBW-Mitarbeiters Günter S. vor dem PUA BT solle es bei einem Treffen der beiden im Jahre 2003 um das Thema NSU und Mundlos gegangen sein. Günter S. berichtete im September 2012 Folgendes: Im August 2003 habe er von einem Informanten Hinweise auf eine rechtsextreme Terrorgruppe in Ostdeutschland namens NSU bekommen. Der Informant habe fünf Namen genannt, darunter Mundlos. Seinen Bericht über dieses Treffen habe er im Amt vernichten müssen. Die Namen NSU und Mundlos habe er sich aber merken können. Die Hinweise wurden damals als unglaubwürdig abgetan. O. bestreitet nun vor dem PUA, damals vom NSU gewusst zu haben oder den Begriff genannt zu haben. Ende 2017, nach Verbüßung einer Haftstrafe, gerät O. in den Niederlanden in Abschiebehaft. Q1 Q2

18. März: Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf bescheinigt vor Gericht dem  Angeklagten Carsten S., er sei im Frühjahr 2000 in seiner Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt gewesen. S. könnte demnach noch nach Jugendstrafrecht verurteilt werden.

Die baden-württembergische Polizei ist wegen ihrer Untersuchungen zum angeblichen Suizid eines früheren Neonazis und möglichen NSU-Zeugen Florian H. in die Kritik geraten. Der Vorsitzende des PUA BaWü, Wolfgang Drexler (SPD) sagte, die Schwester des toten H. habe am vergangenen Sonntag noch mehrere Gegenstände in dem Wagen gefunden, in dem ihr Bruder verbrannt ist. Darunter seien der seit langem vermisste Schlüsselbund des Wagens, ein Feuerzeug, eine Pistole und eine Machete. Die Polizei hatte das ausgebrannte Fahrzeug untersucht, diese Gegenstände aber offenkundig übersehen. Die Familie übergab die Gegenstände der PUA.

19. März: Nadja Lüders (SPD), Vorsitzende des PUA NRW, steht wegen möglicher Befangenheit in der Kritik. Sie hat nachträglich eingeräumt, Anwältin des dreifachen Polizistenmörders und mutmaßlichen V-Manns Michael Berger gewesen zu sein. Dieser war in der Dortmunder Neonazi-Szene bis zu den Morden und dem anschließenden Suizid eine feste Größe, und damit Untersuchungsgegenstand des PUA. Das Justizministerium bestreitet, ihn als V-Mann geführt zu haben. In einer auf den 19. März datierten Erklärung von Lüders heißt es, sie habe „im Jahr 1999 Michael Berger in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertreten. Dabei ging es um eine Kündigungsschutzklage, die keinerlei politischen oder gar rechtsextremistischen Hintergrund hatte […] nichts mit den im Ausschuss zu untersuchenden Vorgängen zu tun“. Die Arbeit des PUA NRW beschränkte sich bisweilen auf wenige Zeugenvernehmungen. Aktenauswertungen können erst nach der Sommerpause, nach der Fertigstellung entsprechender Geheimschutzräume, beginnen.

Der Bundestag verabschiedet einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Empfehlungen des PUA Bundestag. Die Bundesanwaltschaft soll künftig einfacher und früher als bislang Ermittlungen übernehmen können. Außerdem ist vorgesehen, dass „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe für Verbrechen beim Strafmaß besonders berücksichtigt werden sollen. Dies wird im Strafgesetzbuch ausdrücklich geregelt. Außerdem soll den Rivalitäten, der Geheimniskrämerei und möglicher Fahrlässigkeit zwischen den Geheimdienstbehörden vorgebeugt werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll zukünftig bei Gewalttaten auch gegen den Willen einer Landesbehörde auf dessen Gebiet arbeiten und sogar die Ermittlungen an sich ziehen dürfen. Dagegen protestierten die Landesregierungen zwar, aber da das Gesetz nicht im Bundesrat beschlossen werden muss, sind sie formal machtlos. Anders im Bereich der neuen V-Mann-Regeln: Für V-Männer des Bundesamtes gelten zukünftig niedergeschriebene Rekrutierungs- und Einsatzregeln unpräziser Art – unter anderem das Thema erlaubter Straftaten regelnd. Die zentrale Forderung des PUA Bundestag, die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste zu stärken, wurde nicht erfüllt. Es sei überlegt worden, jeden V-Mann-Einsatz von dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags genehmigen zu lassen, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Doch diese Idee habe man als unpraktisch verworfen. Ob die neuen Regeln nun also tatsächlich in der Praxis von den V-Mann-Führern angewandt werden, wird kaum nachprüfbar sein. Die Zusammenarbeit zwischen allen Behörden soll durch die Führung einer gemeinsamen V-Mann-Datei verbessert werden.

20. März: Die Thüringische Landesregierung schaltet das V-Leute-System ab. Nur noch in Ausnahmefällen kann nach Freigabe durch den Ministerpräsidenten ein V-Mann eingesetzt werden. Keine der bisherigen Konsequenzen aus dem NSU-Skandal sind so weitreichend und konsequent wie diese. CDU-Landesinnenminister kritisieren das Vorgehen und bezeichnen V-Männer als unverzichtbar.

23. März: Aufgrund der dem PUA BaWü vorgelegten neuen Beweise im Fall Florian H. führt die Staatsanwaltschaft Stuttgart die im April 2014 eingestellten Ermittlungen weiter.

24. März: Nadja Lüders (SPD), Vorsitzende des PUA NRW, tritt nach anhaltender Kritik vom Vorsitz zurück und verlässt den Ausschuss. Sie verweist als Begründung auf die auf sie abgezielte personenzentrierte Diskussion sowie persönliche Beleidigungen ihr gegenüber. Sven Wolf (SPD) übernimmt den Vorsitz.

25. März: Aufgrund Zschäpes verschlechtertem Gesundheitszustand streicht der vorsitzende Richter Götzl den jeweils dritten Wochen-Prozesstag bis Mitte Mai 2015.

Linke und Grüne im sächsischen Landtag kündigen die Beantragung des PUA Sachsen 2 an.

26. März: Erste Zeugenaussagen zu den beiden Überfälle von Mundlos und Böhnhardt auf eine Sparkasse in Stralsund. Die beiden raubten am 7. November 2006 und am 18. Januar 2007 insgesamt 254.965 Euro. Eine Angestellte berichtet weinend von der Tat und ihren anhaltenden Angstzuständen.

28. März: Melisa M., 20, die Anfang des Monats als Zeugin ausgesagt hatte, wird von ihrem Lebensgefährten mit einem Krampfanfall in ihrer Wohnung aufgefunden. Wenig später stirbt Sie. Als Todesursache wird in den Folgetage festgestellt, dass sie bei einem Motorradunfall sich das Knie geprellt hatte, woraus eine Thrombose entstanden, die schließlich zu einer Lungenembolie führte.

30. März: Die Familie des Verstorbenen Florian H. übergibt dem PUA BaWü unter anderem einen Computer aus Florians Zimmer, zwei Handys sowie einen Speicherstick. Der Ausschuss will die Sachen von einem unabhängigen Sachverständigen untersuchen lassen. Zudem steht die Übergabe eines Laptops und eines Camcorders noch aus. Sie lagen in dem Wagen, in dem Florian im September 2013 verbrannt war.

Während des Ausschusssitzung kommen weitere Ermittlungsfehler im Fall Kiesewetter ans Licht, wobei sich der Verdacht auf weitere Mittäter verstärkt.

Stand: 27.2.18

weiterlesen: Kapitel 24


Links

Chronik der Aufklärung (Kapitel 22): Jan./Feb. 2015 – Keupstraße, Neuausrichtung des Verfassungsschutz, PUA Ba-Wü

#NSU #NSUBlog

6. Januar 2015: Wie der SWR berichtet, gibt es im Zusammenhang mit dem Heilbronner Polizistinnenmord vor fast sieben Jahren zahlreiche Hinweise auf ein NSU-Unterstützernetzwerk in Baden-Württemberg. Die Hintergründe verdichten sich zum Ku-Klux-Klan in Schwäbisch Hall.

7. Januar: In den Planungen eines Verfassungsschutzgesetzes durch die Bundesregierung fordert die SPD, anders als die CDU, weitreichendere Veränderungen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, sagte der Berliner Zeitung, seit 1998 seien nur 20 Prozent der Informationen über die später als NSU bekannt gewordene Terrorgruppe von den Landesämtern für Verfassungsschutz an das Bundesamt weiter geleitet worden. Dies habe unter anderem verhindert, dass dort oder an anderer Stelle ein komplettes Bild habe entstehen können. Die SPD wolle die Pflicht zum Informationsaustausch nun ganz genau fassen. Dabei müsse das BfV bestimmte Fälle an sich ziehen, wahlweise müsse ein Landesamt die Federführung übernehmen können. Überdies wollen die Sozialdemokraten klare Kriterien über den Einsatz von Leuten. So soll niemand mehr angeworben werden, der vorbestraft ist. Auch sollen V-Leute keine Führungsaufgaben mehr wahrnehmen dürfen oder auf die Organisation, die sie bespitzeln, einen steuernden Einfluss nehmen. Spitzel sollen ihren Lebensunterhalt nicht überwiegend aus Geldzahlungen des BfV bestreiten und diese Zahlungen nicht in die extremistischen Gruppen reinvestieren können. Und schließlich sollen V-Leute bloß noch in gewaltbereiten Gruppen eingesetzt werden dürfen. Die so genannte G-10-Kommission zur Überwachung des Post- und Fernmeldegeheimnisses soll über die V-Mann-Aktivitäten in Kenntnis gesetzt werden. Der PUA-Bundestag hatte gefordert, das V-Mann-Wesen komplett anders zu ordnen.

10. Januar: Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung („Journalistische Charakterisierung der Akteure im ‚NSU‘-Prozess“) kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass die Deutungsmuster der Sicherheitsbehörden im Fall NSU einfach übernommen und kritiklos „popularisiert“ wurden. Die Opfer wurden zum Teil entsprechend der behördlichen Narrative erneut als „Mitwisser“ und „Mittäter“ diskriminiert.

12. Januar: Beginn der Beweisaufnahme zum Nagelbombenanschlag vom 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln am 173. Verhandlungstag. Polizisten beschreiben die Verwüstung.

20. Januar: Das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen!“ führt bundesweit Demonstrationen durch. „dass der Gerichtsprozess alleine nicht ausreichen wird, um die Geschichte der Mord- und Anschlagserie und die jahrelangen Drangsalierungen der Betroffenen und Angehörigen aufzuklären und die Ursachen des rassistischen Terrors zu beseitigen. Mit einem Aktionstag […] sowie einer dauerhaften Anwesenheit während der gesamten Verhandlung der Keupstraße wollen wir mit Vielen vor und im Gericht ein sichtbares Zeichen setzen! Jahrelang wurden die Betroffenen aus der Keupstraße und die Opferangehörigen in ganz Deutschland terrorisiert. Jetzt ist der Moment gekommen, geschlossen und unmissverständlich in München unserer Wut und Empörung Ausdruck zu verleihen“.

21. Januar: Dem PUA Hessen liegen acht Monate nach dessen Einsetzung keine neuen Akten vor. Eingetroffen sind im Ausschuss die bereits bekannten Akten aus Hessen, die im PUA Bundestag im Jahr 2012 eine Rolle spielten. Die SPD-Abgeordnete Nancy Faeser kritisiert eine Hinhaltetaktik der schwarz-grünen Landesregierung. Die erst im November in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eingesetzten Ausschüsse zur Untersuchung der dortigen NSU-Morde sind indes viel weiter. In Hessen will der Ausschuss nach monatelangem Streit um Verfahrensfragen im Februar mit der Anhörung von Experten zum Gesamtkomplex Rechtsextremismus und Staatsschutz beginnen.
23. Januar: Nach dem Scheitern der Enquete-Kommission des baden-württembergischen Landtags beginnt der bereits im November 2014 eingesetzte PUA mit öffentlichen Sitzungen.

5. Februar 2015: Jugendgerichtshelfer schildert vor Gericht die Biografie des zur Tatzeit im Jahr 2000 noch heranwachsenden Angeklagten Carsten S., von der Strenge des Vaters über die Zeit in der rechten Szene in Jena bis hin zum Ausstieg und dem Coming out als Schwuler.

Zschäpes Verteidiger beantragen, einer Nebenklägerin aus der Keupstraße und ihrem Anwalt die Zulassung zum Verfahren zu entziehen. Die Frau sei nicht verletzt worden, sagen die Anwälte der Angeklagten. Der Antrag wird in den Folgetagen zurückgewiesen.

9. Februar: Fast 1000 als vernichtet geglaubte Akten zum V-Mann „Tarif“ tauchen im Bundesamt für Verfassungsschutz wieder auf.

11. Februar: Schriller Auftritt eines rechtsextremen Skinheads aus Kassel. Er bestreitet, was er der Polizei gesagt hat: dass er Mundlos und Böhnhardt im März 2006, kurz vor dem Mord an Halit Yozgat, in Kassel vom Bahnhof abholte. Die Beamten hätten ihm Worte in den Mund gelegt.

18. Februar: Nach 22 Monaten hat der Gerichtsprozess bisher Kosten in Höhe von knapp 30 Millionen Euro verursacht. Jeder Prozesstag im NSU-Verfahren koste etwa 150.000 Euro, sagte der Präsident des Oberlandesgerichts München und des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Karl Huber, dem «Münchner Merkur».

19. Februar: Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele kritisiert das Vorgehen seiner Partei in Hessen: „Es gibt leider Probleme in Koalitionen, wenn Grüne beteiligt sind und der Koalitionspartner keinen Untersuchungsausschuss will. In Hessen kann hinzukommen, dass sich Innenminister Bouffier seinerzeit sehr weit aus dem Fenster gelehnt und vor den Verfassungsschutz gestellt hatte. Er hat damit verhindert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit tun konnten.“

21. Februar: In einer Sitzung des PUA Ba-Wü verdichten sich die Zweifel am bisher angenommenen Tatverlauf in Heilbronn. Die Erkenntnisse der Sonderkommission Parkplatz zeigten, dass vier oder mehr Täter vor Ort gewesen sein müssten. Außerdem berichten Sachverständige von abwegigen Parallelen zu amerikanischen Agenten, die am selben Tag Beschattungen von Islamisten in der Region des Tatorts durchführten.

22. Februar: Bislang unbekannte Auszüge aus polizeilichen Abhörprotokollen Temmes von 2006 werden von der „Welt am Sonntag“ veröffentlicht. Das Gespräch legt nahe, dass Temme vom bevorstehenden Mord gewusst haben könnte. Die Protokolle bestätigen einen bereits bekannten Umstand: Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz gab seinem Mitarbeiter genau vor, wie er sich gegenüber der Polizei verhalten soll. Unbekannt war aber bislang der Satz des Geheimschutzleiters der Behörde vom 9. Mai 2006. Dieser sagte an Temme gerichtet: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“

24. Februar: Eine Zeugin aus Zwickau erzählt vor Gericht vom gemeinsamen Alkoholkonsum mit Zschäpe alias „Lisa“. Der Verhandlungstag wird vorzeitig abgebrochen, da Zschäpe sich schlecht fühlt.

25. Februar: Der Innenausschuss des Landtags von NRW berät über den Tod des V-Mannes Thomas R., alias Corelli, der im April 2014 tot in seiner Wohnung im Kreis Paderborn aufgefunden wurde. R. verstarb nur wenige Tage vor seiner Vernehmung. Er hätte wesentlich zur Aufklärung der Hintergründe der NSU-Morde und der Rolle des Verfassungsschutzes beitragen können. Die Obduktion ergab mit hoher Wahrscheinlichkeit eine natürliche Todesursache. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) blockiert zunehmend die Weiterleitung von Ermittlungserkenntnissen rund um den Tod an die Abgeordneten. Am Todestag des R. waren gleich zwei Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor Ort bei seiner Wohnung. Die Beamten klingelten 5 Tage später bei der Mutter des Vermieters und sagten, dass sie sich als Bekannte von R. Sorgen gemacht hätten, da sie vergeblich versucht hatten, ihn zu erreichen.

Zwei ehemalige Skinheads aus Chemnitz, Zwillingsbrüder, berichten vor Gericht von ihrer Hilfe für die drei Untergetauchten. Einer der beiden überließ Böhnhardt seinen Reisepass.

26. Februar: Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe seien in der Thüringer Szene wie Helden verehrt worden, sagt eine frühere Rechtsextremistin vor Gericht.

Die am 22. Februar veröffentlichten Abhörprotokolle werden vor Gericht von Bundesanwalt Herbert Diemer als Beweismittel zurückgewiesen. In der Gesamtbetrachtung, so die Argumentation, ließen sich keine Rückschlüsse auf Kenntnisse über eine bevorstehende Straftat finden. Zudem sei noch unklar, ob Temme tatsächlich zur Tatzeit am Tatort war.

27. Februar: Der zweite PUA Thüringen wird auf Antrag aller Fraktionen beschlossen. Aus der vorangegangen Legislaturperiode liegen bereits mehrere Tausend Akten zur Auswertung vor. Besonderen Fokus wollen die Abgeordneten auf die unzureichend durchgeführte Spurensicherung am 04.11.11 im ausgebrannten Wohnmobil in Eisennach legen.


Links