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4. November 2016: In Gedenken an die Opfer des NSU legt der Verband für interkulturelle Wohlfahrtspflege (VIW) einen Kranz in der Neuen Wache, der Gedenkstätte der Bundesrepublik für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Berlin, nieder. Vor fünf Jahren waren die Taten ans Tageslicht gekommen. Immernoch wird viel Kritik an der schleppenden Aufklärung laut. Bundesjustizminister Maas spricht von „großem Staatsversagen“. Q1
Die Künstlergruppe „Sternendekorateure“ stellt in Zwickau elf Bänke mit den aufgemalten Namen der NSU-Opfer auf. Das Mahnmal wird in den darauffolgenden Tagen von Unbekannten stark beschädigt. Q1
5. November 2016: Mehrere hundert Personen demonstrieren in Zwickau anlässlich des fünften Jahrestages gegen Rassismus.
9. November 2016: Mit Empörung reagieren Opferanwälte auf die Weigerung der Staatsanwaltschaft Köln, ein Verfahren gegen einen früheren BfV-Referatsleiter einzuleiten. Damit verjähren heute mögliche Straftaten des Beamten. Er hatte am 11. November 2011 Unterlagen zu sieben rechtsextremen Thüringer V-Leuten der Behörde schreddern lassen. Die Affäre war im Juli 2012 bekannt geworden. Q1 Q2
11. November 2016: Günther Beckstein verteidigt vor dem PUA HE sein Vorgehen in der Zeit als Bayerischer Innenminister. So gab er unter anderem zu bedenken, dass bei einer Übergabe der Ermitttlungen an das BKA wohl weniger Personal und Ressourcen eingesetzt worden wären als es bei der bayerischen Polizei der Fall war. Das Versagen der Ermittler im Bezug auf den NSU bezeichnete Beckstein im Rückblick als die schlimmste Niederlage des deutschen Rechtsstaats. Q1
16. November 2016: Drei Hamburger Opferanwälte werfen am 321. Tag dem Brandenburger Verfassungsschützer Reinhard G. vor, im Prozess gelogen zu haben. Der Beamte hatte ausgesagt, der von ihm geführte V-Mann mit dem Decknamen „Piatto“ habe im August 1998 keine SMS des sächsischen Neonazis Jan W. erhalten, in der sich dieser „nach den Bums“ erkundigte, also mutmaßlich nach Waffen für den NSU fragte. Die Anwälte sagen nun, aus einem geheimen VsBB-Vermerk gehe hervor, dass der V-Mann die SMS doch erhalten haben dürfte. Q1 Q2
18. November 2016: Vor dem PUA BB schildern Dirk Laabs und Prof. Hajo Funke den Fall „Piatto“ als Skandal und systematisches Vorgehen des VsBB. Man habe einen schwerkriminellen Neonazi protegiert um an Informationen heranzukommen. Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat erhebliche Zweifel am Einsatz von V-Leuten. „V-Leute sind Grenzgänger. Ob sie die Grenze einhalten oder überschreiten, ist nicht zu kontrollieren.“ Der VfS habe auch keinen Freibrief, um V-Leuten Straftaten zu erlauben, damit die Quelle geschützt und der Informationsfluss gewährleistet bleibt. Auch Gideon Botsch vom Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrum sieht den massenhaften Einsatz von Zuträgern aus rechten Gruppierungen kritisch. „V-Leute waren an maßgeblicher Stelle beteiligt, als sich die rechtsextreme Szene organisierte und radikalisierte.“ Q1 Q2 Q3
21. November 2016: Vor dem PUA Hessen zeigt sich auch der Verfasser der zweiten Fallanalyse (05/2006), Alexander Horn (LKA Bayern), verwundert darüber, dass Temme nicht in U-Haft kam und wie viele Informationen durch Verfassungsschutzämter sowie BKA zurückgehalten wurden. Horns Hypothesen verortetten die Täter im Großraum Nürnberg mit festem Arbeitsplatz. Böhnhardt und Mundlos waren zu dieser Zeit tatsächlich bei Marschners Firma beschäftigt und in Nürnberg tätig (BELEGE?)
22. November 2016: Richter verlesen u.a Dateien, die auf einer Festplatte Wohllebens entdeckt wurden. Gespeichert sind unter anderem Lieder rechtsextremistischer Bands, wie der Song „Judenschwein“ der Gruppe „Kommando Freisler“. Q1
23. November 2016: Die Richter hören als Zeugen einen Berliner Polizisten zum Verdacht, Zschäpe und Böhnhardt hätten im Mai 2000 in Berlin die Synagoge in der Rykestraße ausgespäht. Der Beamte hatte damals einen Kollegen vernommen, der die untergetauchten Rechtsextremisten nahe dem Gotteshaus gesehen haben will. Der befragte Polizist kann sich an die damalige Aussage seines Kollegen allerdings nur teilweise erinnern.
Wohllebens Anwälte versuchen weiter, über Beweisanträge rechtsextreme Propaganda in den Prozess einzuführen. Die Verteidiger beantragen, den NPD-Funktionär und „Historiker“ Olaf Rose zum vermeintlichen „Friedensflug“ von Hitlers Stellvertreter Heß nach Großbritannien zu vernehmen.
Am Rande des Prozesses wird bekannt, dass die Kölner Staatsanwaltschaft nun doch gegen einen ehemaligen BfV-Referatsleiter wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch ermittelt. Q1
30. November 2016: Götzl befragt erneut den früheren Berliner Polizisten Frank G. G. hatte bereits im Oktober 2016 ausgesagt, konnte sich aber kaum noch an den Vorgang erinnern. So ist es auch an diesem Tag, dennoch liest Götzl ihm passagenweise seine Aussage vom Mai 2000 beim Berliner LKA vor. Der Richter scheint den Angaben größere Bedeutung beizumessen. Warum, sagt Götzl nicht. Opferanwälte bewerten jedenfalls die Aussage von G. aus dem Jahr 2000 als Beleg für eine Teilnahme Zschäpes an der Ausspähung des jüdischen Gotteshauses des NSU, um eventuell einen Anschlag zu verüben. Q1
2. Dezember 2016: Vor dem PUA BW2 geben Beamte von LKA und BKA Auskunft über die Arbeit des gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus. Nur das BKA habe Datensätze mit dem BfV abgeglichen, nicht jedoch die VfS-Ämter der Länder. Zudem gibt der frühere BND-Präsident Uhrlau an, keine Kenntnisse über eine Geheimdienstoperation im Heilbronn zu haben. Q1
5. Dezember 2016: Das brandenburger Justizministerium gibt bekannnt, neue Akten mit Bezug zu Piatto gefunden zu haben und diese den PUAs BT2 und BB übersandt zu haben. Es handele sich dabei um Ermittlungsverfahren, die in Registerbüchern aufbewahrt worden waren. Q1
8. Dezember 2016: Zschäpe lässt am 328. Tag über Borchert mitteilen, dass sie zum Fall Peggy nichts weiß. In ihrer Einlassung behauptet Zschäpe auch, nichts von kinderpornografischem Material auf einem Computer gewusst zu haben, der im Brandschutt des Hauses in Zwickau gefunden wurde. Sie habe von den Bildern auf der Festplatte erst bei der Einsicht in Ermittlungsakten erfahren. Q1
Vor dem PUA BB spricht sich Brandenburgs Innenminister Schröter – wie schon VsBB-Chef Weber weniger Tage zuvor – für mehr Personal beim Geheimdienst aus. Die MAZ schreib: „Höchster Stand rechtsextremistischer Gewalt seit 1993; größte Anzahl gewaltbereiter Rechter sowie höchste Mitgliederzahlen in Neonazi-Gruppen seit Bestehen des Bundeslandes. Nie habe es im Land mehr radikale Islamisten – Weber nannte 100 – gegeben. Außerdem sei die Anzahl von Gewalttaten mit linksextremem Hintergrund so hoch wie nie seit der Wende. Etliche Verfassungsschützer seien derzeit zudem damit beschäftigt, für den NSU-Untersuchungsausschuss Akten zu suchen und andere Zuarbeiten zu leisten. Gleichwohl sagte Schröter: „Die Arbeitsfähigkeit bleibt gegeben“. Im aktuellen Haushalt sei ein Erhalt der 90 Stellen in der Behörde vorgesehen, zehn zur Streichung vorgesehene Posten blieben erhalten. „Es ist ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und Machbaren“, so der Innenminister.“ Q1
13. Dezember 2016: Ein weiteres Detail aus dem Geständnis des Angeklagten Carsten S. scheint sich zu bestätigen. Ein BKA-Beamter berichtet, in Chemnitz hätten zwei Personen ausgesagt, sich daran erinnern zu können, dass im Juni 2000 in der Wolgograder Allee ein Mann angeschossen wurde. In der Straße hatte damals das Trio gelebt.
Carsten S. hatte zu Beginn des Prozesses berichtet, der Mitangeklagte Wohlleben habe nach einem konspirativen Telefonat mit Mundlos und Böhnhardt gesagt, „die Idioten haben jemanden angeschossen“. Die Aussage von Carsten S. gehörte zu einem umfassenden Geständnis. Der Angeklagte gab zu, die Mordwaffe nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht zu haben. Carsten S. belastete zudem Wohlleben, der die Beschaffung eingefädelt haben soll.
14. Dezember 2016: Eine Zeugin sagt, sie wisse nichts von einem gemeinsamen Aufenthalt mit Zschäpe und Böhnhardt in einem Lokal in Berlin nahe der Synagoge. Für das BKA ist die Zeugin allerdings mutmaßlich die Frau, die mit im Biergarten der Gaststätte gesessen hat. Q1
19. Dezember 2016: Sitzung PUA HE: Ein Beamter des hessischen Innenministeriums deckt die von Bouffier veranlassten Aussageverweigerungen im Fall Temme. Q1 Q2
20. Dezember 2016: Tag 331. Die „Alt-Anwälte“ von Zschäpe verhindern, dass der psychiatrische Sachverständige Saß sein Gutachten vorträgt. Aus Sicht der Verteidiger ist Saß fachlich ungeeignet. Sie beantragen, Saß von seinem Auftrag zur Begutachtung Zschäpes zu entbinden. Außerdem präsentieren die Anwälte ein „methodenkritisches Gutachten“ des Neurologen Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum. In dem Papier listet Faustmann die Punkte auf, die er in dem Gutachten von Saß für fragwürdig hält. Q1 Q2
Der PUA BB berät sich mit den Ausschussvorsitzenden aus dem Deutschen Bundestag und den Landtagen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen.
21. Dezember 2016: Der Senat lehnt den Antrag ab, den psychiatrischen Sachverständigen Saß vom Auftrag des Gerichts zu entbinden und somit sein Gutachten zur Schuldfähigkeit Zschäpes zu torpedieren. Die Richter haben keine Zweifel an der fachlichen Qualifikation. Die Anwälte reagieren mit einem Befangenheitsantrag – „im Interesse von Frau Zschäpe“. Im Namen der Angeklagten können die drei Verteidiger nicht sprechen, da Zschäpe sie ablehnt. Doch Borchert stellt dann für Zschäpe ein Ablehnungsgesuch und nennt als Begründung den Inhalt des Befangenheitsantrags von Heer, Stahl und Sturm. Das ist das erste Mal, dass die neue und alte Verteidigung Zschäpes gemeinsame Sache machen. Der letzte Prozesstag im Jahr 2016 endet, ohne dass Saß sein Gutachten vortragen kann. Das Gutachten gibt keine Hinweise auf verminderte Schuldfähigkeit bei Zschäpe und vermutet bei ihr ein antisoziales Verhalten. Q1
Stand: 6.6.17
>>> weiterlesen: Kapitel 39
Quellen und weiterführende Links:
- www.tagesspiegel.de/politik/verhandlungstage-tag-310
- www.vorwaerts.de/artikel/nsu-nebenklaegerin-gezielt-aufklaerung-verhindert
- http://www.taz.de/!5350817/
- https://www.heise.de/tp/features/Die-Raubueberfaelle-des-NSU-3301669.html
- http://www.deutschlandfunk.de/denkmalplanung-in-koeln-gedenkstaette-fuer-nsu-opfer.1769.de.html?dram:article_id=370768
- www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-anklaeger-wollen-peggy-akten-im-nicht-beruecksichtigen
- http://das-blaettchen.de/2016/11/fuenf-jahre-nsu-ermittlungen-%E2%80%93-fakten-fakes-fehler-37920.html
- www.freitag.de/autoren/moser/heimatschutz-der-staat-und-die-mordserie
- http://www.zeit.de/2016/50/thueringer-verfassungsschutz-stephan-kramer
- https://www.heise.de/Aussen-Ku-Klux-Klan-innen-Verfassungsschutz
- http://blog.zeit.de/nsu-prozess-blog/2016/12/01/zschaepe-gutachten-sorgt-fuer-wirbel/
- https://www.heise.de/NSU-Mordserie-ungeklaert-Boehnhardt-und-Mundlos-wurden-zu-Alleintaetern-erklaert
- https://www.welt.de/politik/deutschland/article160081315/Darf-Zschaepes-Privatpost-juristisch-benutzt-werden.html
- https://www.heise.de/tp/features/Bundesverfassungsschutz-Voellig-ratlose-Aktenvernichter-3549494.html
- http://www.fr.de/politik/rechtsextremismus/nsu-neonazi/nsu-es-muss-schluss-sein-mit-dem-vertuschen-a-731234
- http://www.deutschlandfunkkultur.de/kriminalhoerspiel-off-the-record-nsu-geheimhaltung-und-die.1895.de.html?dram:article_id=374186