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01. Juli 2013: Merkel trifft in Berlin 40 Angehörige der NSU-Opfer, sie fordern von der Regierung unter anderem stärkeres Bemühen um die Aufklärung
der NSU-Morde.
02. Juli: Ein Beamter der Zwickauer Polizei sagt im Gericht, Zschäpe habe vor ihrer Festnahme am 8. November 2011 in Jena an Selbstmord gedacht. Das habe sie ihm am Abend des 8. November erzählt. Die Polizei hatte Zschäpe zur Direktion Zwickau gebracht.
03. Juli: Am 18. Verhandlungstag berichten BKA-Beamte über Gespräche mit Zschäpe während des Transportes von der JVA Köln in die JVA Gera im Juni 2012. KHK Rainer B., 57, berichtet vom BGH-Beschluss, der den Besuch ihrer Familie in Gera erlaubte. Im abgedunkelten VW-Bus der Bundespolizei ging es um acht Uhr morgens nach Thüringen. Die Fahrt dauerte vier Stunden. Zschäpe saß in Fahrtrichtung an einem Tisch, Rainer B. und eine weitere Beamtin saßen ihr gegenüber. Die beiden Polizisten erklärten ihr, dass es im Falle eines Gesprächs einen Vermerk für die Akten geben müsste. Zschäpe hat nach der Aussage des Beamten zu erkennen gegeben, was sie sagen könne und was nicht. Über acht Stunden lang unterhielten sich die Beamten mit Zschäpe offen, wobei Z. wenig konkretes preisgab. Die Beamten sprechen Z. auch darauf an, ob sie aussagen wolle, das habe sie doch bei ihrer Festnahme gesagt. Z. schwankte, sie wolle es eigentlich, auch um ihrer Großmutter alles zu erklären, aber ihr Anwalt würde davon abraten. Sie „sei sehr sehr unzufrieden mit der Arbeit ihres Verteidigers“ gewesen, sagt Rainer B. Er mache wenig, ständig lese sie etwas in der Presse. Darüber sei sie sehr erbost. Während einer Fahrtpause kauft B. das Buch „Die Zelle“ und gibt es Z. zu lesen. „So einen Fall wie mich hat es doch noch nie gegeben“, sagte Zschäpe im Bulli zum Beamten. „Na, wir hatten ja früher schon RAF-Terroristen im Westen“, sagte Rainer B. darauf, und nennt als Beispiel die RAF-Mitglieder Christian Klar und Susanne Albrecht. Letztere habe von Anfang an alles gesagt, was sie wusste. Klar habe nie etwas gesagt. Er saß 26 Jahre hinter Gittern, Frau Albrecht war nach drei Jahren in den offenen Vollzug und nach sechs Jahren war sie wieder draußen. Heute lebt sie unter einem anderen Namen in einer westdeutschen Großstadt. Wenn sie einmal aus dem Gefängnis käme, würde sie den Namen Zschäpe ablegen und sich Müller, Meyer oder Schulze nennen, sagte die Beschuldigte. „Es lief alles in einer freundlichen Atmosphäre ab, war sehr sachlich. Sie beteiligte sich an dem Gespräch und war stets ruhig und sachlich“, sagt der Beamte. Auch gestand Sie, eine volle Aussage vorzuhaben und zu Ihren Taten zu stehen. Allerdings hätten die Anwälte Ihr abgeraten. Stahl und Herr halten B. einen möglichen gezielten Vernehmungsversuch während der Fahrt vor, was dieser abstreitet. B. erwähnt insgesamt vier mal die Unzufriedenheit von Z. mit ihren Verteidigern. Stahl vermutet, dass die Beamten das Vertrauensverhältnis zwischen der Mandantin und den Verteidigern gezielt untergraben wollten. „Das Vertrauensverhältnis zu den Anwälten hat zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden“, sagt der Beamte. Die Aussage von B. soll nicht verwendet werden, so ein Antrag der Verteidiger. B. sei aufgrund seines Hintergundwissens aus seinen vorhergehenden Ermittlungen gezielt zur Vernehmung eingesetzt worden. Die Bundesanwaltschaft sieht es nicht als bewiesen an, dass es eine unerlaubte Vernehmung gegeben hat.
Der sächsische Verfassungsschutz hat den NSU bereits im Jahr 2000 als Terror-Organisation eingestuft. Das berichtet das ARD-Magazin „Report Mainz“ unter Berufung auf interne Dokumente. Hätten die Behörden darauf richtig reagiert, wäre die Mordserie wohl vermeidbar gewesen.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und der Chef des BfV, Hans-Georg Maaßen, kündigen als Lehren aus dem NSU für den Geheimdienst 130 Reformmaßnahmen für die internen Arbeitsabläufe und den Umgang mit Akten an. BeobachterInnen nannten die Auflistung eine »Hitliste der Banalitäten«.
09. Juli: Bilder vom Tatort, Vernehmungen von Ermittlern vor Gericht. Der Strafsenat verlängert bereits jetzt die Liste der vorgesehen Termine um ein Jahr bis zum Dezember 2014. Allein die Vernehmung des geständigen Carsten S. hatte neun Tage gedauert. In der Verhandlung beschreibt ein pensionierter Polizist, wie er den sterbenden Blumenhändler Enver Simsek in dessen Transporter fand. Simsek hatte an einer Straße seine Ware verkauft. Mundlos und Böhnhardt hatten am 9. September 2000 in Nürnberg auf den Türken geschossen, er war das erste Mordopfer des NSU. Doch 13 Jahre nach der Tat sind die Erinnerungen der beteiligten Beamten offenbar verblasst.
10. Juli: Der Thüringer Verfassungsschutz hat Anfang 2001 versucht, den heutigen Kronzeugen im Münchner NSU-Prozess, Carsten S., als V-Mann anzuwerben. Er war zeitweise einziger Kontaktmann zum NSU. Das belegen geheime Unterlagen des Verfassungsschutzes.
Zwei Polizisten schildern vor Gerichtgrauenhafte Details der Schussverletzungen, die Enver Simsek erlitt. Mundlos und Böhnhardt hatten neunmal auf den Türken gefeuert.
11. Juli: Ein ehemaliger Beamter der Münchner Polizei beschreibt den Mord an dem Türken Habil Kilic als „absolut professionelle Hinrichtung“. Mundlos und Böhnhardt erschossen Kilic am 29. August 2001 in seinem Lebensmittelgeschäft in München – nur 100 Meter von einer Polizeidienststelle entfernt. Der Ex-Beamte betont, es sei legitim gewesen, in Richtung Drogenhandelt zu ermittlen. Kilics Ehefrau und seine Schwiegermutter sagen aus, wie stark die polizeilichen Ermittlungen sie belastet haben.
13. Juli: In Dortmund wird ein Gedenkstein für die NSU-Opfer eingeweiht. In der Stadt wurde Mehmet Kubasik als erstes Opfer des NSU ermordet.
16. Juli: Die jüngste Aktenpanne im Zusammenhang mit der Neonazi-Mordserie wird wohl auch Konsequenzen haben. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums teilte mit, der Militärische Abschirmdienst (MAD) solle umgebaut werden. Der Bundeswehr-Geheimdienst werde Teil der anstehenden Reformen bei den Sicherheitsbehörden sein. Er solle personell schlanker werden. Außerdem werde darüber nachgedacht, den Dienst mit Blick für seine Aufgaben besser aufzustellen. Das Ministerium halte es aber für richtig, den MAD beizubehalten.
Ein BKA-Mann berichtet, wie der Angeklagte Holger G. im Ermittlungsverfahren Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben belastet hat. Holger G. sagte der Polizei, wenn er von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Geld bekommen habe, „war es immer über Frau Zschäpe“. Außerdem erzählte Holger G. der Polizei, wie er eine Waffe, die Wohlleben beschafft habe, nach Zwickau brachte. Dort habe ihn Zschäpe vom Bahnhof abgeholt.
17. Juli: Der Bayerische Landtag diskutiert den Abschlussbericht des PUA. In dem öffentlichen Dokument werden den Behörden Fehler bei der Fahndung wegen der fünf Morde des NSU in Bayern vorgeworfen. Zudem sei der Geheimdienst ahnungslos, inenffizient und voreingenommen gewesen
Der Brandgutachter der sächsischen Polizei schildert weitere Details zum Feuer in der Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße. Es habe eine „Durchzündung bis zum Obergeschoss“ gegeben. Dort arbeiteten üblicherweise zwei Handwerker. Als der Brand ausbrach, machten sie jedoch Mittagspause in der Nähe des Gebäudes.
18. Juli: Tino Brandt, früherer V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes, gerät in Verdacht, Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe radikalisiert zu haben. Ein BKA-Beamter erinnert sich an Aussagen des Angeklagten Holger G. zu Diskussionen im rechtsextremen Freundeskreis über Militanz. Der Polizist geht davon aus, „dass Tino Brandt auf seiten der Gewalt war“. Brandt hatte die Neonazi-Truppe „Thüringer Heimatschutz (THS)“ geführt, der auch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe angehörten. Parallel spitzelte Brandt für den Verfassungsschutz.
23. Juli: Laut einer repräsentativen Studie glauben zwei Drittel der in Deutschland lebenden TürkInnen nicht an eine lückenlose Aufklärung der NSU-Morde. Nur neun Prozent denken, dass die Rolle der Sicherheitsbehörden geklärt werde und nur sieben Prozent der Befragten glauben, dass die Bundesregierung den politischen Willen zur Aufklärung hat. 70 Prozent sagen, die Taten hätten ihre privates Leben beeinflusst. Es würden heute erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen und Pläne zur Auswanderung gemacht.
24. Juli: Im NSU-Prozess haben Nachbarn der Angeklagten Zschäpe ausgesagt, was beim Brandausbruch geschah. Es ging um den Vorwurf des versuchten Mordes. Beate Zschäpe nahm offenbar in Kauf, dass ihre Nachbarin größter Gefahr ausgesetzt wurde. Ein ehemaliger Mieter des abgebrannten Hauses in der Frühlingsstraße in Zwickau erzählt, bei Trinkabenden in seinem Keller habe ein Bild von Adolf Hitler auf dem Fernseher gestanden. „Das ist im Osten so“, sagt der Zeuge. Zschäpe habe ab und zu mitgetrunken, das Bild habe sie nicht gestört. Zudem werden weitere Einzelheiten aus dem Alltag der Rechtsterroristen bekannt.
25. Juli: Eine frühere Nachbarin aus der Frühlingsstraße schildert, wie Zschäpe nach der Explosion der Wohnung und dem Ausbruch des Feuers auf die Straße kam, mit überraschtem, erschrockenem Gesicht. Zschäpe habe zwei Körbe mit ihren beiden Katzen abgestellt und sei gegangen.
26. Juli: In einem Positionspapier wirft Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) dem Innenminister des Landes, Jörg Geibert (CDU), und dem TLfV vor, aus dem NSU nichts gelernt zu haben. In den
Behörden habe sich »nichts geändert«.
30. Juli: Die »Stuttgarter Zeitung« berichtet, dass SPD und Grüne die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum NSU ablehnen, obwohl zahlreiche Spuren des NSU nach Baden-Württemberg führen. So bleibt der letzte Mord der Neonazis 2007 an einer Polizistin in Heilbronn bis heute völlig rätselhaft.
Das Schicksal von Charlotte E. wird Prozessthema. Die alte, gebrechliche Frau lebte in der Frühlingsstraße in der Wohnung gleich neben der von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Bei dem Brand geriet die 89-Jährige in große Gefahr, sie wurde von Verwandten gerettet. Die Bundesanwaltschaft wertet den Brand auch als versuchten Mord Zschäpes an der Rentnerin. Deren Verwandte berichten, dass Charlotte E. den Verlust der Wohnung nicht verkraftet hat. Sie liege meist teilnahmslos im Bett.
01. August 2013: Im Fall des erschossenen Blumenhändlers Enver Simsek erzählt ein Kripo-Beamter aus Nürnberg eine abenteuerliche Geschichte. Eine V-Person habe behauptet, ein Konkurrent des Türken habe einen Killer gesucht, „um Simsek zu beseitigen“. Die Polizei ging dem Hinweis nach. Außerdem wurden Telefonate von Simseks Familie überwacht.
04. August: Der MDR schreibt, daß die Thüringer Landesregierung erst
mit einer Verspätung von eineinhalb Jahren Geheimdienst-Unterlagen zum NSU der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt hat. Die Akten zur versuchten Anwerbung von Carsten S.als Spitzel seien erst jetzt in einem Panzerschrank des Geheimdienstes aufgefunden worden.
06. August: Ein Bayerischer Ermittler sagte im NSU-Prozess, er sei nach dem Mord an Ismail Yasar 2005 »selbstverständlich« von einem rassistischen Hintergrund ausgegangen, es seien dann aber keine konkreten Spuren gefunden worden.
10. August: Die »Stuttgarter Zeitung« berichtet, der NSU habe in 14 Städten in Baden-Württemberg potentielle Anschlagsziele ausgespäht. Einzelpersonen, Geschäfte von MigrantInnen und Parteibüros seien von den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern auf einer Liste registriert worden.
18. August: »Der Spiegel« berichtet, das Bundesinnenministerium verlangt vor der Veröffentlichung des Abschlussberichtes des PUA Bundestag die Bearbeitung von insgesamt 118 Textstellen und die komplette Streichung von 47 Passagen.
22. August 2013: Der PUA Bundestag legt nach eineinhalb Jahren Arbeit seinen Abschlussbericht vor. Die Mitglieder des Gremiums einigten sich auf ein gemeinsames Papier – ein Novum. Mehr als 70 Sitzungen – und immer wieder ging es auch gegen den Widerstand von Behörden und Ministerien. Petra Pau von der Linksfraktion erinnerte an „verschwundene, geschredderte, zu spät gelieferte Akten oder nicht zuständige Zeugen“. Der Bericht umfasst knapp 1.400 Seiten, basiert auf 12.000 Akten und den Aussagen von 107 ZeugInnen.
Während der Bundestag seinen Abschlussbericht zum NSU-Komplex vorgelegt hat, geht die Arbeit in Thüringen und Sachsen weiter. In Bayern wird es nach der Wahl im kommenden Monat höchstwahrscheinlich einen weiteren PUA geben.
22. August: Der »Zentralrat der Muslime in Deutschland« fordert Konsequenzen aus dem Abschlussbericht des PUA Bundestag. Rassismus in der Gesellschaft müsse aufgearbeitet und die Sicherheitsbehörden reformiert werden.
27. August: Die »Türkische Gemeinde in Deutschland« legt einen »Schattenbericht« zur NSU-Mordserie und politischen Konsequenzen vor. Die Organisation fordert weitere Aufklärung und Schritte gegen Rassismus und Neonazismus.
28. August: »Der Spiegel« berichtet, dass Beate Zschäpe in die Taten von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos eingeweiht war. Nach deren letzten Banküberfällen 2011 habe sie im Internet nach Polizeimeldungen aus den Orten gesucht.
29. August: Das Münchener Oberlandesgericht (OLG) lädt den Polizeibeamten Martin A., der 2007 einen dem NSU zugerechneten Anschlag in Heilbronn überlebte, als Zeugen. Der Bundestag hatte auf
seine Aussage verzichtet.
- tagesspiegel.de, 10.11.15 [12.11.15] / Frank Jensen
- tagesschau.de, 27.08.2013 [18.08.2015] / Patrick Gensing
- http://www.welt.de/politik/deutschland/article117666019/Zschaepe-war-irritiert-ueber-Brief-von-Breivik.html
Weiterlesen: Kapitel 14