Chronik der Aufklärung (Kapitel 24): April 2015 – Neonazi-Aussagen / Polizeiskandal in Baden-Württemberg

Chronik der Aufklärung (Kapitel 24): April 2015 – Neonazi-Aussagen / Polizeiskandal in Baden-Württemberg

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4. April 2015: Über 150 Menschen nahmen an einer Kundgebung zum Gedenken an Mehmet Kubasik, der 2006 vor neun Jahren in Dortmund umgebracht worden ist, teil. Mehrere Migrantenorganisationen hatten dazu aufgerufen, auch Vertreter der Kölner Vereinigung „Keupstrasse ist überall“ waren gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Der Demonstrationszug startete an dem ehemaligen Kiosk der Familie Kubasik und endete an dem Mahnmal der NSU-Opfer. Dort wurde  von der Tochter des Ermordeten, Gamze Kubasik, ein Kranz niedergelegt.

5. April: Der SPD-Vorsitzende Gabriel ist überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung bei den Ermittlungen gegen den NSU geholfen hätte. Angesichts der Vielzahl durch Behörden vernichteter Akten und Informationen ist ein Ausweiten der Informationssammlung überflüssig, so netzpolitik.org. Die Polizei erhielt und rasterte bereits 32 Millionen Vorratsdaten erfolglos. Q1

6. April: Am neunten Jahrestag der tödlichen Schüsse auf Halit Yozgat in Kassel findet eine offizielle Gedenkstunde auf dem Halitplatz, der nach Yozgat benannt ist, statt. Es sprechen unter anderem der Oberbürgermeister Hilgen (SPD) und der türkische Generalkonsul.

Künstler, Autoren, Gewerkschafter und Wissenschaftler fordern in einer gemeinsamen Erklärung zum NSU-VS-Skandal die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes sowie Konsequenzen für verwickelte Politiker. Q1

7. April: Unter dem Motto „Schluß mit der Vertuschung – Gerechtigkeit für Halit Yozgat“ verleiht die Interventionistische Linke ihrer Erklärung vom Vortag mit einer Kundgebung vor der Hessischen Landesvertretung in Berlin Nachdruck.

14. April: Der 197. Verhandlungstag beschäftigt sich überwiegend mit den Banküberfällen in Stralsund am 7. November 2006 und am 18. Januar 2007. Der Angeklagte Holger G. fehlt am Morgen und wird zur Anreise aus Niedersachsen gezwungen.

16. April: Bei bundesweiten Razzien in der rechten Szene werden mehrere Hundert CDs eines rechtsextremen Liedermachers aus Zwickau beschlagnahmt. Es besteht der Verdacht der Verherrlichung des NSU.

19. April: Die Bundesanwaltschaft gibt bekannt, dass weitere Ermittlungsverfahren gegen neun der Öffentlichkeit bisher Unbekannte mutmaßliche NSU-Unterstützter laufen.

20. April: „Matze“, 21 jährig, verwickelt sich als Zeuge vor dem PUA BW in Widersprüche und muss vorherige Aussagen vor der Polizei korrigieren. Seine Behauptung, es gebe eine gefährliche rechtsextreme Organisation namens Neoschutzstaffel (NSS) wirkt unglaubwürdig. Stattdessen existierten wohl in BW nur lose Gruppen von rechtsorientierten Jugendlichen, die sich in Heilbronner Kneipen und Parks zum Saufen treffen. Es waren, so beschrieb es ein anderer Zeuge, auch ein paar Punks dabei, man hörte Musik von Metallica bis zur Rechtsrockband Landser. Zur Gruppe, die sich nach ihrem Treffpunkt beim Heilbronner Kongresszentrum „Harmonie“ nannte, gehörte neben „Matze“ auch Florian H. – jener junge Neonazi, der im Herbst 2013 in Stuttgart in einem brennenden Auto gestorben war. Q1

22. April: Der Präsident des LfVSN, Gordian Meyer-Plath, lobt vor Gericht die Zusammenarbeit mit dem früheren V-Mann Carsten Sz. Sz. hatte von 1994 bis 2000 für den VsBR in der rechten Szene gespitzelt. Mit dem Decknamen „Piatto“ berichtete er 1998 von „drei untergetauchten sächsischen Skinheads“, damit waren offenkundig Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gemeint. Sz. gab auch an, der sächsische Rechtsextremist Jan W. wolle Waffen für die drei besorgen.

Der PUA TH 2 konstituiert sich. Ausschussmitglied und AfD-Fraktionsvorsitzender Bernd Höcke erscheint nicht. Es mehren sich Bedenken, dass die AfD geheime Informationen in die rechte Szene weiterleiten könnte oder die Untersuchungen behindern könnte.Q1

SPD und Grüne fordern im Bayerischen Landtag die Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung der NSU-Mordserie. Die CSU-Mehrheit lehnt den Vorschlag ab. Arbeitskreise und Ausschüsse des Parlaments seien immerhin mit dem Thema befasst.

23. April: 200. Verhandlungstag. Ein geladener Zeuge aus der rechtsextremen Szene erscheint nicht vor Gericht. Eine weitere Szenezeugin erinnert sich an fast nichts.

Anwälte der Nebenkläger erheben umfangreiche Vorwürfe gegenüber Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft. Sie sollen die Aufklärung im NSU-Komplex massiv behindern. Q1

27. April: Der Sächsische Landtag beschließt den PUA Sachsen 2. „Die Aufklärung ist nicht abgeschlossen, die Fragen werden eher immer mehr“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann.

28. April: Joachim Stamp (FDP), Mitglied im PUA NRW, präsentierst eine Karte, auf der die verbundenen NSU-Tatorte das NSU-Symbol ergeben: „Wenn man die Tatorte miteinander verbindet, dann ergibt sich auf der Karte ein fast vollständiges NSU-Logo, das im Bekennervideo zu sehen ist. Es fehlt nur eine einzige Markierung, die zwischen Magdeburg und Berlin liegen würde.“ Die Theorie der „Deutschlandtour“, und somit ein nicht willkürliches Vorgehen, scheint dadurch bekräftigt.

Ein Skinhead provoziert vor Gericht mit der auf sein Gesicht tätowierten Parole „Blut und Ehre“. Die Polizei fotografiert den Zeugen, er muss mit einem Verfahren rechnen. Es ist strafbar, öffentlich Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu zeigen. „Blut und Ehre“ war ein Leitmotiv der Hitlerjugend. Als weiterer Zeuge tritt Stephan L. auf, der ehemalige Anführer der „Deutschland-Division“ der internationalen Skinhead-Vereinigung Blood & Honour. L. schwärmt von der Zeit vor dem Verbot der Deutschland-Division.

29. April: Ein ehemaliger Neonazi belastet überraschend Zschäpe, Wohlleben und sich selbst. Der Zeuge sagt, er sei im April 1996 mit Zschäpe, Wohlleben, Mundlos und Böhnhardt bei einer Straftat dabei gewesen. An einer Autobahnbrücke nahe Jena wurde ein Puppentorso aufgehängt, der als „Jude“ gekennzeichnet und mit einer Bombenattrappe verbunden war.

30. April: Ein 17-seitiges vertrauliches Gutachten von Psychiater Norbert Nedopil über Zschäpe wird dem Gericht übergeben. Sie hat offenbar ganz offen mit ihm geredet. Offensichtlich ist der Leidensdruck bei Zschäpe mittlerweile so groß, dass sie eine Aussage oder Änderung ihrer Verteidigungsstrategie möglicher wird.

Deutschlandtour

(Quelle: welt.de)

Stand: 9.5.16

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Links und Quellen