Chronik der Aufklärung (Kapitel 9): Oktober 2012 – 100 NSU-Mitglieder, KKK in Baden-Württemberg

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08. Oktober 2012: Der Thüringer Verfassungsschutz liefert rund 780 Akten mit den Klarnamen von V-Leuten an den PUA BT, was bei anderen Ländern für Kritik sorgt. Das Gremium begrüßte hingegen die Kooperationsbereitschaft der Landesregierung. Durch die Übersendung der Unterlagen an die Geheimschutzstelle des Parlaments und die vollständige Einstufung der Akten als geheim habe Thüringen ein hohes Schutzniveau gewährleistet. Allerdings kritisiert der Ausschussvorsitzende Edathy, dass die Abgeordneten durch die komplette Lieferung von nicht vorsortierten Akten überlastet werden.

09. Oktober: Die „taz“ berichtet über eine geheime Liste der Sicherheitsbehörden, auf der exakt 100 Personen zum NSU-Netzwerk gezählt werden. Auf der Liste stehen demnach neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die zwölf in dem Verfahren von der Bundesanwaltschaft beschuldigten mutmaßlichen Helfer sowie 85 weitere angebliche Kontaktpersonen oder engste Unterstützer. Bisher war die Zahl der „relevanten Personen“ im NSU-Umfeld auf 40 beziffert worden. Q1

Es wird bekannt, dass der mutmaßliche NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben vor wenigen Tage aus Thüringen nach München verlegt wurde. Möglicherweise ein Indiz dafür, dass der NSU-Prozess wie vermutet vor dem dortigen Oberlandesgericht stattfinden wird.

10. Oktober: Der Hamburger Rechtsanwalt Thomas Bliwier, der die Familie des in Kassel ermordeten Halit Yozgat als Nebenkläger vertritt, betonte gegenüber tagesschau.de, die Erwartungen der Hinterbliebenen an den Prozess seien hoch. Bei dem Prozess gehe es um die „vollständige Aufklärung“, insbesondere um die Rolle der staatlichen Stellen. Der Anwalt meint, dass der Prozess noch einiges ans Tageslicht bringen wird. „Strafverteidiger sind geübter in der Befragung und frei von Parteiinteressen“, so Bliwier im Hinblick auf die Zeugenvernehmungen in den parlamentarischen NSU-Ausschüssen.

Das Innenministerium in Thüringen will dem TLfV die Eigenständigkeit entziehen. Das Landesamt soll als eigenständige Behörde aufgelöst und ins Innenministerium integriert werden, wie es in anderen Ländern bereits der Fall ist. Für die Linkspartei ein Ablenkungsmanöver. Man wolle suggerieren, dass ein Geheimdienst aufgelöst wird, ihn qualitativ aber fortbestehen lassen, kommentierte Martina Renner, die in Erfurt im NSU-Ausschuss sitzt und sich seit Jahren mit der rechtsextremen Szene beschäftigt.

13. Oktober: Die WELT berichtet aus geheimen Dokumenten des LfVSN: Mit der Operation Terzett wurden zwischen Mai 2000 und November 2010 Abhörmaßnahmen gegen NSU-Mitglieder durchgeführt. Terzett ist die Bezeichnung für das Trio. U.a. wurde 2003 das BayLfV konsultiert um die Überwachung des Trios und vier weiterer Personen zu planen.

15. Oktober: Der Sänger der Neonazi-Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“ wird wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt. In einem Lied hatte die Gruppe die Morde des „Döner-Killers“ besungen, zudem war von einem „Phantom“ die Rede. Dieser Begriff wurde in der Öffentlichkeit im Mordfall Kiesewetter benutzt. Der Neonazi-Sänger, der mindestens bis März 2012 Mitglied der NPD war, kündigte Berufung gegen das Urteil an.

17. Oktober: Mitarbeiter des LfVBW soll Dienstgeheimnisse an die Führung eines deutschen Ablegers Ku-Klux-Klan (KKK) verraten haben. Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht. Darin wird der Fall aus dem Jahr 2002 als „Sicherheitsproblem“ beim LfVBW klassifiziert. Der Mann bestreite bis heute die Vorwürfe.
LfVBW-Präsidentin Bube sowie Innenminister Gall wollten mit Verweis auf die höchste Geheimhaltungsstufe nicht bestätigen, dass es sich bei dem Leiter der rassistischen Gruppierung um einen V-Mann des VfS gehandelt haben soll, wie Medien berichtet hatten. Stern.de berichtet, beim VfS wurden Akten vernichtet, die Informationen zu KKK-Mitgliedern in Baden-Württemberg beinhalteten – unter anderem über den mutmaßlichen V-Mann Achim K. Q1

18. Oktober: Erneut macht ein Vertreter des Geheimdienstes keine gute Figur: Eigentlich hatte sich der Untersuchungsausschuss des Bundestags vom Ex-Verfassungsschützer Fritsche Erkenntnisse über Versäumnisse in den NSU-Ermittlungen erhofft. Stattdessen teilte der Zeuge erstmal aus – so kräftig, dass die Sitzung unterbrochen wurde. Doch auch nach einer Belehrung stritt Fritsche rigoros Fehler ab.

22. Oktober: Der PUA Bundestag wird von Vertretern der Geheimdienste, Innenpolitikern der Union und Polizei zunehmend kritisiert. Der Vorsitzende des Ausschusses, Edathy, legte dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, nach harten verbalen Angriffen den Rücktritt nahe. Edathy sagte der „Mitteldeutschen Zeitung“, Schulz scheine ein „gestörtes Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zur Kontrollaufgabe von Abgeordneten“ zu haben. Er solle „darüber nachdenken, ob er mit seinem absurden Rechtsstaatsverständnis dem Amt noch gewachsen“ sei. Schulz hatte die Arbeit des Untersuchungsausschusses wiederholt kritisiert – mit ungewöhnlicher Wortwahl: So beklagte er eine überflüssige „postmortale Klugscheißerei“ des Gremiums.

25. Oktober: Der ehemalige Bundesrichter Schäfer wird neuer Ermittlungsbeauftragter des PUA Bundestag. Sein Auftrag: Hunderte Akten aus Thüringen sichten – und im Zweifel sensible Passagen schwärzen, bevor sie an Abgeordnete gehen. Im Ausschuss selbst hatte BKA-Vize Maurer zuvor Pannen bei den Ermittlungen bedauert.

29. Oktober: Wie das Bundesjustizministerium mitteilt, wurden Entschädigungszahlungen aus einem Fonds für die Opfer extremistischer Übergriffe überwiesen. Nach Medienangaben erhalten Ehepartner und Kinder der ermordeten neun Kleinunternehmer eine Pauschale von je 10.000 Euro, Geschwister 5000 Euro. Die Familien bekommen zudem die Beerdigungskosten erstattet. An die Betroffenen der beiden Bombenanschläge in Köln seien insgesamt 140.000 Euro überwiesen worden. Insgesamt wurden 900.000 € ausgezahlt. Q1

31. Oktober: Die SZ berichtet, dass gegenüber dem PUA BY die meisten Akten und Auskünfte vom Innenministerium als geheim eingestuft werden würden. Vorsitzender Schindler: „Das Instrument Untersuchungsausschuss kann nicht wirken. Es wird schwer, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was sie wissen müsste. Es stellt sich schon die Frage, wer kontrolliert wen – der Landtag das Ministerium oder umgekehrt?“. Q1

Stand: 3.5.16

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